No. 90
Die Anzeigen erscheinen wöchentlich zweimal.
Dienstags und Freitags

Schönberg, den 17. November
1893
Jahrgang
Preis vierteljährlich 20 Schilling (Mecklenburg) jährlich 1Mark (Lübeck) 32Schilling (Mecklenburg).
Jahrgang
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[ => Original lesen: 1893 Nr. 90 Seite 1]

- Ueber das Nachspiel im Hannoverschen Spielerprozeß weiß das Leipziger Tageblatt noch folgendes zu berichten: "Mit der Verabschiedung der im Spielerprozeß kompromittierten Offiziere, die im "Militär=Wochenblatt" veröffentlicht werden dürfte, und mit dem angekündigten kaiserl. Erlaß gegen das Hazardspiel dürften die Maßnahmen, welche jener sensationelle Prozeß gezeitigt, wohl noch nicht erschöpft sein. Auch das Rennwesen an sich bedarf dringend der Reform. Seiner Zeit hat der Kaiser den Wunsch ausgesprochen, daß im Allgemeinen die Offiziere seiner Armee nur ihre eigenen Pferde und vielleicht die ihrer Kameraden beim Rennen reiten möchten.
- Ueber die Kabinettsordre aus Anlaß des Hannoverschen Spielerprozesses macht die "Tägliche Rundschau" nähere Mitteilungen. Danach soll der Kaiser in der Ordre befohlen haben, daß auf Grund der Verordnung über die Ehrengerichte vom 2. Mai 1874 gegen alle Offiziere, welche auch nur im geringsten in den Spieler= und Wucherprozeß verwickelt sind, auf ehrengerichtlichem Wege eingeschritten, und daß jeder Offizier unnachsichtlich und ohne Ausnahme zur Verabschiedung eingegeben werden soll, der hierbei die Standesehre irgendwie verletzt hat. Im weiteren Verlaufe der Ordre hat der Kaiser seinem Unwillen Ausdruck gegeben, daß die genannte alte und eine ähnliche bei seinem Regierungsantritt gegebene neuere Ordre über die Notwendigkeit einer einfacheren sparsameren Lebensweise so wenig beachtet worden ist, und hat an die Generalkommandos den Befehl erlassen, ihm diejenigen Regimentskommandeure namhaft zu machen, welche in der Befolgung dieser Ordres nicht mit der nötigen Strenge vorgegangen sind und die ihnen anvertrauten Offizier=Korps nicht mit der erforderlichen Sorgfalt überwacht haben. In der Verordnung vom 2. Mai 1874 sind als Handlungen, welche dem Ruf des Einzelnen und der Genossenschaft nachteilig werden können, ausdrücklich genannt: alle Ausschweifungen, Trunk, Hazardspiel und die Uebernahme solcher Verpflichtungen, mit denen auch nur der Schein unredlichen Benehmens verbunden sein könnte, sowie überhaupt jedes Streben nach Gewinn auf einem Wege, dessen Lauterkeit nicht klar erkennbar ist. "Völlige Erschütterung des Grundes und Bodens, heißt es da, worauf der Offizierstand steht, ist die Gefahr, welche das Streben nach Gewinn und Wohlleben mit sich bringen würde."
- Das Bundespalais in Frankfurt a/M. geht im März 1895 in den Besitz der Frankfurter Postverwaltung über. Der Kaufpreis beträgt 1 1/2 Mill. Mark. Die jetzige Miete des von der Post provisorisch benutzten Palais wird auf den Kaufpreis aufgerechnet. Für das nächste Jahr sind daher im Etat der Reichspost= und Telegraphenverwaltung 50 000 Mk. Mehrforderung angesetzt, um deren Bewilligung der Bundesrat angegangen wird.
- Wie die "Allg. Mit. Corr." mitteilt, bringt die Kriegsverwaltung dem Schneeschuhlaufen, dessen Kenntnis im Falle eines Winterfeldzuges von Bedeutung ein könnte, besonderes Interesse entgegen. In diesem Winter sollen größere Uebungen als bisher im Schneeschuhlaufen stattfinden.
- Die Kronprinzessin=Witwe Stefanie von Oesterreich war Donnerstag abend, als sie eine Fahrt von Wien nach Laxenburg unternahm, in großer Lebensgefahr. Die Pferde des Hofwagens scheuten bei der mangelhaften Beleuchtung der Straße, und der Wagen wurde an einen Prellpfahl geschleudert. Die Kronprinzessin stürzte mit ihrer Begleitung aus dem Wagen, ohne sich indeß zu beschädigen.
- Nach einer Meldung aus London soll England geneigt sein, Gibraltar an Spanien abzutreten, falls Spanien bereit sei, Tanger England zu überlassen.
- Auch die Socialdemokraten haben ihre "Paradepferde". Der "Vorwärts" bezeichnet als "Paradepferde" solche Genossen, mit deren wissenschaftlicher oder sozialer Stellung die Partei nach außen hin gleichsam Parade macht. Mit der Sucht, solche Wunderthiere vorzuführen, sind aber die Genossen in Magdeburg recht "reingefallen", oder, wie der "Vorwärts" sich ausdrückt, sie haben sich eine böse Suppe eingebrockt. Das Blatt berichtet darüber: "Der Prediger Schall, der in Auch=Sozialismus macht, sollte in Magdeburg einen Vortrag halten, hielt einen solchen nach seiner Art und schloß mit einem Hoch auf den - Kaiser. Da nun mehrere Genossen erklärlicherweise sitzen blieben, notierte deren Namen die Polizei." Nachträglich wird noch gemeldet, das Hoch habe nicht dem regierenden Kaiser, sondern seinem Großvater Wilhelm I. gegolten.
- In Tonkin und zwar im ganzen gebirgigen Theil des Landes soll ein Aufstand ausgebrochen sein, weil die Franzosen die Eingeborenen zur unentgeltlichen Frohnarbeit bei der Erbauung von Straßen am linken Ufer des Mekong heranzuziehen versucht und mehrere von den Laos, die sich geweigert, zu arbeiten, niedergeschossen hätten. Die "Times", welche die Nachricht aus Bangkok erhalten hat, berichtet noch, daß die Franzosen dem Aufstand gegenüber ohnmächtig seien. Die eingeborenen Truppen seien demoralisirt und schlössen sich den Rebellen an.
- Die Londoner "Times" stellt in einem Artikel Vergleiche an bezüglich der europäischen Flotten und besteht darauf, die englische Flotte auf einen unüberwindlichen Stand zu bringen, selbst wenn weitere 100 Millionen Pfund Sterling für die Vermehrung der Flotte ausgegeben werden müßten.
- Die Bankfirma Goldschmidt in Frankfurt am Main tritt in Liquidation. Sie zählt zu den ältesten, angesehensten und reichsten Deutschlands. Der eine Inhaber ist ein Schwiegersohn des Frankfurter Rothschild. Man kann daraus ermessen, wie Lage und Aussichten des deutschen Bankgeschäfts sind.

[ => Original lesen: 1893 Nr. 90 Seite 2]

- Der Prinzregent Luitpold von Bayern ließ für seine Enkelin, die Prinzessin=Braut Auguste, Tochter des Prinzen Leopold, einen Blütenzweig aus 1116 Brillanten und Saphieren in Silber und Gold gefaßt zum Hochzeitsgeschenk anfertigen. Der Zweig, welcher eine Länge von 40 Centimeter hat, dient zum Schmucke über die Brust und ist in fünf Teilen zerlegbar, welche gleichfalls als Schmuck benützt werden können.
- Der Prior des Benediktinerstifts Michelbeuren bei Salzburg P. Gregor Mädlhammer, eine um die Herstellung eines guten Trunkes hochverdiente und allen Touristen gut bekannte Persönlichkeit, starb soeben im Alter von 83 Jahren.
- Wie aus Rom gemeldet wird, übersandte der Papst dem Kaiser Alexander von Rußland ein prachtvoll gebundenes Exemplar des für die montenegrinische Kirche adoptierten altslavischen Meßbuches.
- Das italienische "Amtsblatt" veröffentlicht soeben ein Dekret, welches die Zollzahlung in Gold einführt.
- Der Jesuitenpater Brandi, der als vertrauter Ratgeber des Papstes gilt, veröffentlicht eine großes Aufsehen erregende Brochüre, worin er die Notwendigkeit einer Versöhnung des Staats mit der Kirche betont.
- Die Weinernte 1893 ergab in Frankreich 49 800 000 hl, das sind 20 900 000 hl mehr als im Jahre 1892 und 20 900 000 hl mehr als die Durchschnittsernte der letzten 10 Jahre.
- Eine französische Baronin, welche in Monte Carlo 200 000 Franks an der Roulette verloren hatte, erstickte sich mit ihrer 15jährigen Tochter mit Kohlengas.
- Der Gerichtshof von Valjevo verurteilte den Geistlichen Milovanovic wegen des Versuchs, den Diakon Ljubischa bei der Verabreichung des Abendmahls zu vergiften, zu zweijährigem Kerker.
- In Köln wurde von einem Schutzmanne bei einem Barbier eine Falschmünzerwerkstätte entdeckt. Sämmtliche zur Herstellung von Falsifikaten dienende Gerätschaften wurden in Beschlag genommen und der Barbier verhaftet.
- In Hamburg wurden zwei Frauen verhaftet, welche beschuldigt werden, den Versuch gemacht zu haben, im allgemeinen Waisenhause eine Explosion hervorzurufen. Zu diesem Zwecke hatten sie 13 Gashähne in der Anstalt geöffnet. Sie hofften, daß Jemand mit einem Licht die Räume betreten und dadurch die Explosion hervorrufen würde. Glücklicherweise wurde die Unthat rechtzeitig bemerkt.
- Nachdem in Heidelberg die naturwissenschaftliche Fakultät der dortigen Universität weibliche Studenten zum Besuch der Vorlesungen zugelassen hat, ist nunmehr auch in der philosophischen Fakultät ein Beschluß zustande gekommen, daß kein prinzipielles Hindernis bestehe, weibliche Studenten zu der Doctorpromotion zuzulassen. Die Dame, welche die Entscheidung dieser prinzipiellen Fragen veranlaßt hat und zum Doktorexamen zugelassen werden soll, ist eine Tochter des berühmten Juristen Windscheid.
- Aus allen Gegenden von Oesterreich werden stetig sich vermindernde Temperaturverhältnisse und starke Schneefälle gemeldet. Im Adriatischen Meere wütete eine orkanartige Bora, so daß eine Schiffsfahrt in den Triester Hafen eine Zeit lang unmöglich war.
- Vor einigen Tagen passierten die russische Grenze bei Eydtkuhnen sechs prachtvolle Pferde von der edelsten, französischen Zucht, welche der Präsident Carnot als Geschenk für den Czaren nach Petersburg sandte.
- Vor 80 Jahren und jetzt. Bierstatistisches. Im Sudjahr 1812/13 wurden von den 61 Bierbrauereien Münchens 89 846 Scheffel Malz verbraucht und cirka 540 000 Eimer (324 000 Hektol.) Bier eingesotten; im Sudjahre 1892/93 wurden von 35 Bierbrauereien 1 346 665 Hektoliter Malz verbraucht und 2 954 798 Hektoliter Bier eingesotten. Die Bierproduktion hat sich während dieser Zeit nahezu verzehnfacht.
- Einfaches Mittel zur Beseitigung giftiger Gase aus Brunnenschächten. Große Vorsicht ist stets beim Befahren von Brunnenschächten zu beobachten, da sich häufig giftige Gase in denselben unten ansammeln, und hat schon mancher Brunnenarbeiter sein Leben eingebüßt, welcher unvorsichtig genug war, nicht vorher ein brennendes Licht in den Brunnen hinabzulassen, welches durch sein Erlöschen die Gefahr anzeigt. Wie aber die giftige Luft aus den Brunnen entfernen? Dies lehrte neulich ein intelligenter englischer Arbeiter, welcher auch bei der Lichtprobe fand, daß es unten "faul" sei. Er nahm einen Regenschirm, spannte ihn auf und ließ ihn an einer Schnur in den Brunnen bis dicht über den Wasserspiegel hinunter; alsdann zog er ihn schnell wieder hinauf und verfuhr auf diese Weise wohl zwanzig Mal, zum Spott der Umstehenden; als er hierauf wieder das Licht hinabließ, brannte dasselbe ruhig weiter, zum Beweis, daß die schlechte Luft durch das primitive Mittel genügend entfernt. Beim nun erfolgten Abstieg der Arbeiter zeigte sich die Luft unten als der Atmung völlig zuträglich.
- Zu starke Zimmerheizung taugt nichts! Wer die Zimmerwärme über 19 Grad Celsius (15 Grad Réaumur) erhöht, wird nach Professor Reklam, der's versteht, bei einiger Beobachtung bald merken können, daß sein Wärmebedürfniß sich stets steigert und 20 bis 25 Grad C. kaum mehr genügen wollen! Bei andauernd starkem Heizen trocknen nämlich Wände und Zimmergegenstände aus. Je mehr aber diese ihre Feuchtigkeit verlieren, desto mehr gehts über die Feuchtigkeit bei den Menschen her! Die Ausdünstung der Haut und der Lunge wird immer mehr gesteigert, durch diese Verdunstung von Feuchtigkeit dem Körper aber viel Wärme entzogen, das Verlangen nach Ofenwärme also immer großer. Je heißer die Stube, desto mehr dünsten aber auch alle anderen Zimmersachen aus und verderben die Luft positiv. Ueberdies atmen wir in wärmerer Luft weniger Sauerstoff, unser allernötigstes Lebensbedürfniß ein, wodurch der Stoffwechsel verlangsamt und auch vermindert wird. Damit verringert sich dann der Appettit, eine mürrische Stimmung tritt ein, der Schlaf wird kürzer und unruhig, bald lassen alle Verrichtungen des Körpers zu wünschen übrig, das trübselige Bild der meisten Stubenhocker im Winter! Unterlaß' also nicht einen Wärmemesser ("Thermometer", also nach Celsius!) in Deinem Familienzimmer (fern vom Ofen, frei) aufzuhängen, denselben fleißig zu beobachten und namentlich auch stets einen eisernen Topf mit Wasser im Ofen zu halten; auch Wasser daraus ab und zu in den Ofen zu gießen (doch so, daß die eiserne Platte nicht springt und es nicht nach Ofenlehm riecht) und verdunsten zu lassen! Du verbesserst dadurch die Luft. Schon der alte Plato hat an sich ganz richtig beobachtet, daß es sich in feuchter Luft viel besser philosophieren und leben lasse. Probatum est!
- Einen harmlosen Streich hat der "Heurige" einem elsessischen Küster gespielt, der am letzten Mittwoch, nachdem er der edlen Gabe des Heurigen gebührende Ehre erwiesen, fröhlichen Sinnes ins Bett stieg. Als er wach wurde, drang durchs Fenster blendende Helle. Aufspringen und den klappernden Schlüsselbund ergreifen war eins; pflichteifrig eilte er zur Kirche und begann mächtig die Frühglocke zu läuten. Voll Staunen aber bemerkte er, als er heraustrat, daß der Herr Pfarrer und die Nachbarn die Läden aufstießen und riefen: "Martin brannts? Oder was esch los?" "Nai, nai", antwortete er, "i ha Tagglock g'lüttet." "Awer, Märtel," entgegnete man ihm allerseits verwundert, "es esch ja erscht halb eis!" Nun merkte Märtel wohl, daß er den Mondschein mit dem Tageslicht verwechselt hatte. "I ha werklich g'meint," seufzte er beklommen, "'sesch heiter heller Tag." Voll Grimm über den arglistigen Mond, der vergnügt niederkuckte, als ob nichts passiert sei, riß er die Läden zu und sagte: "Wart, i well d'r's Rinblinzle vertriewe." Darauf legte er sich nieder, und als er abermals wach wurde, konstatierte er zu seiner Beruhigung, daß es noch ganz dunkel war. "Jetzt han ich noch e bezli Zitt, bes d'r Dag dammert," meinte er zufrieden und legte sich auf die andere Seite. Aber horch - was ist das? "Libera me!" sang's aus der nahen Kirche, und zugleich ward unser Märtel unsanft aufgestört durch die Mitteilung, daß er den ganzen Gottesdienst verschlafen habe. Tief ergriffen erhob er sich von seiner Lagerstätte und sagte: "Jetzt gloiw i, daß's And (End) d'r Walt nah esch; vor, wo's heiter

[ => Original lesen: 1893 Nr. 90 Seite 3]

esch g'se, habe se gesagt, 's war Nocht, un jetzt, wo's finstere esch, sage se, 's wär Dag."


Ueber Betrügereien, welche an den Schneidezähnen vorgenommen werden, um das Pferd älter, event. jünger erscheinen zu lassen.

Das Verfahren ein Pferd älter zu machen, besteht darin, daß man die Fohlenzähne früher ausreißt, als sie beim regelmäßigen Wechsel ausfallen würden. So erscheint ein dreijähriges Pferd vierjährig, wenn man die Mittelzähne entfernt. Am häufigsten geschieht diese Operation an den Eckzähnen, welche man ausreißt, sobald die Mittelzähne gewechselt sind, wodurch dann das Pferd anscheinend 4 1/2 Jahr alt und für 5 Jahr ausgegeben wird, während es nur 3 1/2 Jahr alt ist. Es hält nicht schwer einen solchem Betrug zu erkennen, d. h. wenn er erst kürzlich ausgeführt ist, denn eine nähere Untersuchung ergiebt sofort, daß der Ersatzzahn in der Höhle des ausgerissenen Zahnes noch nicht sichtbar, was bei regelmäßigem Wechsel gewöhnlich der Fall ist; außerdem sind die nächststehenden Zähne noch so kurz, daß sie noch nicht in gegenseitige Reibung getreten sind. Erreicht wird durch diese Operation freilich ein rascheres Erscheinen des Ersatzzahnes, so daß man durch diese Fälschung, wenn sie schon länger vorgenommen war, wohl erreichen kann, das Tier ca. 1/2 Jahr älter erscheinen zu lassen. - Ferner pflegen Roßtäuscher, wenn die Milchzähne kräftig entwickelt sind, diese für bleibende auszugeben, allein bei Berücksichtigung aller oben angegebenen Umstände dürfte ein solcher Versuch doch nicht gelingen. - Das Jungmachen der Pferde geschieht dadurch, daß man auf der Reibfläche der Schneidezähne an Stelle der schon längst verschwundenen natürlichen Kunden neue Vertiefungen eingräbt, und diese mittelst eines Glüheisens oder mit einem Aetzmittel schwarz beizt. Manchmal wird auch Harz in die künstlich gemachten Vertiefungen gebracht und das Glüheisen darüber gehalten, wodurch ebenfalls schwarze Ränder erzeugt werden. Gleichzeitig mit dem Gitschen, Mallauchen, Mallachen, Mallen, Ketschen, Bischoffen, wie man das Jungmachen auch bezeichnet, wird dann zuweilen das Pferd kopfscheu gemacht oder scharfe Salbe in das Maul gebracht, damit es stark schäumt und dadurch eine genaue Untersuchung der Zähne fast unmöglich wird. Dieses Gitschen wird entweder mit allen Schneidezähnen des Unterkiefers oder nur mit den Eckzähnen vorgenommen, wodurch dann das Pferd wenigstens erst 7-8 Jahr alt zu sein scheint. Es ist jedoch nicht schwer, diese Betrügereien zu erkennen, denn während die natürlichen Kunden einen weißen emailleartigen Schmelzrand haben, fehlt es den gemachten Kunden. Ferner haben die natürlichen Kunden eine regelmäßige, der Form der Reibfläche entsprechende Gestalt, die künstlichen Kunden dagegen sind entweder rund oder schartig, klein oder groß. Außerdem erinnere man sich: 1. Alte Pferde haben gewöhnlich lange Zähne, darum sind Kunden auf solchen künstlich erzeugt. 2. Finden sich nur auf den Schneidezähnen des Unterkiefers Kunden, so sind diese künstlich erzeugt. 3. Bei jungen Pferden stehen die Schneidezähne mehr in einem starken Bogen, bei alten Pferden mehr in einer geraden Linie. Natürliche Kunden kommen nur vor bei querovalen Reibflächen. - Den sogen. Einbiß an den oberen Eckzähnen entfernt der Roßtäuscher durch Abfeilen. - Sehr lange Zähne, welche dem Pferde den Stempel eines hohen Alters aufdrücken, werden zuweilen abgesägt, allein mit dieser schwierigen Operation wird keineswegs der beabsichtigte Zweck erreicht, im Gegenteil bekommen hierdurch die Reibflächen der Zähne eine Form, wie sie erst bei älteren Tieren gefunden wird. Diese Operation macht also das Pferd älter, als es wirklich ist. - Solche Betrügereien, welche zum Teil zur Tierquälerei gehören, sollten durch strenge Gesetze verboten werden.


Anzeigen.

Steckbrief.

Gegen das Dienstmädchen Kathinka, Magdalene, Sofie Wortmann, geboren am 19. Februar 1857 zu Lübeck, welche dringend verdächtig ist, am 29. October d. J. zu Schlag=Sülsdorf zwei wollene Unterröcke und drei leinene Schürzen gestohlen zu haben und flüchtig ist, ist der richterliche Haftbefehl erlassen. Ich bitte um Vigilanz, Beschlagnahme des gestohlenen Gutes, Verhaftung der p Wortmann, Einlieferung derselben in das nächste Amtsgerichts=Gefängniß und Benachrichtigung.

Schönberg i./M., den 15. Novbr. 1893.
Der Amtsanwalt
A. Dufft.


Zur Ausloosung der aus dem Fürstenthum Ratzeburg gewählten Hauptschöffen für die ordentlichen Sitzungen im Geschäftsjahr 1894 ist die öffentliche Sitzung auf

Mittwoch, den 29. November 1893
Vormittags 10 Uhr

im hiesigen Gerichtsgebäude angesetzt, was hierdurch öffentlich bekannt gemacht wird.
Schönberg, den 13. November 1893.

Der Erste Amtsrichter beim Großherzoglichen Amtsgerichte.
G. Horn.


Steckbrief.

Gegen den am 23. Februar 1871 zu Wismar geborenen Knecht August Trätow, zuletzt in Badendorf in Dienst, welcher flüchtig ist, soll eine durch Urtheil des Großherzogl. Schöffengerichts zu Schönberg vom 18. August 1893 erkannte Haftstrafe von drei Tagen vollstreckt werden. Es wird ersucht, denselben zu verhaften, in das nächste Amtsgerichtsgefängniß abzuliefern und uns zu benachrichtigen.
Schönberg i. Meckl., den 13. November 1893.

Großherzogliches Amtsgericht.
G. Horn.


Holz=Auction Nr. 2.

Am Montag den 20. November Morgens 10 Uhr sollen in den Lankower Tannen an Ort und Stelle

40 Stück Kiepentannen

meistbietend verkauft werden.
Versammlung der Käufer am Schlagbaum des Dechower Holzes.
Schönberg, den 12. Novbr. 1893.

                                                    Der Oberförster
                                                    C. Hottelet.


Oeffentliche Versteigerung.
Montag den 20. November d. J.
Vormittags 11 Uhr

soll in Herrnburg
                          eine Kuh
öffentlich meistbietend gegen baare Zahlung verkauft werden. Versammlung der Käufer beim Schulzen Grieben in Herrnburg.

                                                    C. Staffeldt,
                                                    Gerichtsvollzieher.


Landwirthschaftliche Vieh-Versicherungs-Gesellschaft a. G. zu Altona.

Die Gesellschaft versichert Pferde, Rindvieh, Schweine und Ziegen zu den niedrigsten Prämien gegen alle Verluste, auch gegen Seuchen und Unglücksfälle.
Entschädigung coulant und prompt nach den Statuten.
Tüchtige Agenten werden unter günstigen Bedingungen sofort angestellt.
Das Bureau befindet sich Reventlowplatz 1, I. E.

Die Direktion.


Reelles Heiratsgesuch.

Ein geb. Gutsinspektor 30 Jahre alt, sucht zwecks Gründung eines eigenen Heims mit einer vermögenden Dame in Correspondenz zu treten.
Discretion Ehrensache.
Offerten unter Z. 1.

                                                    postlagernd Schwerin.


Was ist Lavatus.


[ => Original lesen: 1893 Nr. 90 Seite 4]

Zu dem am Donnerstag, den 23. November
bei mir stattfindenden
Landmannsballe

erlaube ich mir die Herren Hauswirthe hierdurch ergebenst einzuladen.

Schönberg.                                                     J. Boye.


Grosse Gewinnchance!
Zu der am 20. u. 21. Dec. neu beginnenden
Grossen
Hamburger Geldverlosung
empfehlen für 1. Ziehung
1/1 Loose à 6 M., 1/2 à 3 M., 1/4 à 1.50 M.

An Hauptgewinnen kommen folgende zur Entscheidung:
In 1. Klasse 50,000 M., in 2. 55,000 M., in 3. 60,000 M., in 4. 65,000 M., in 5. 70,000 M., in 6. 75,000 M., in 7. Klasse ev. 500,000, spec. 300,000, 200,000, 100,000, 75,000, 50,000, 40,000, 5 à 20,000, 20 à 10,000 M. etc. Es bietet sich also die allergroßartigste Gewinngelegenheit, so daß jedermann sein Glück versuchen sollte. Aufträge, welche unter Nachnahme nach allen Orten prompt ausführen, erbitten recht bald

                                                    Mindus & Marienthal,
                                                    Hamburg.


Cigarren.
Empfehle zu Fabrikpreisen                          
Gloria Bremensis.

Empfehlenswertheste Sorten Cigarren. Vorzüglichste Bremer Fabrikate. Nr. 1 M. 6 .-, Nr. 2 M. 7.-, Nr. 3 M. 8.-, Nr. 4 M. 10.-, Nr. 5 M. 12.-, Nr. 6 M. 15.- pro 1/10 Kiste von 100 Stück. Dieselbe gebe ich versuchsweise auch in Anbruch zu Fabrikpreisen ab.

                                                    Friedr. Eckmann,
                                                    Siemzerstraße 199.


3000 Mark
u. mehr Nebenverdienst, ist zu erzielen d. d. Verkauf e. gesetzl. erl. Artikels. Off. u. R. 611 an
                                                    Heinr. Eisler, Hamburg.


Trockenes zerkleinertes                          
Buchenholz,
pro Centner 1 M. 20 Pfennig (Mecklenburg)., verkäuflich auf der Flachsfabrik.


Eine kräftige große 8jährige
schwarze Stute
(Sattelpferd) steht zum Verkauf bei
Schönberg.                                                     Max C. Sass.


Cigarren
in allen Preislagen von 2 Mark 50 Pfg. pro
100 Stück an bis zu den feinsten Qualitäten
empfiehlt                                                     Friedr. Eckmann,
                                                                      Siemzerstraße 199.


Gute geräucherte Mettwurst
per Pfund 1.20 M., bei 10 Pfund 1.00 M.,
empfiehlt                          
                                                    H. W. Ladendorf.


Gesucht zu sofort
ein junges Mädchen
zum Kochen lernen.
                          Frau C. Klempau, Offizier=Casino,
                          Lübeck.


In der Nacht vom Sonntag zum Montag sind mir 9 Schafe (8 weiße und 1 schwarzes) entlaufen. Sollten sich dieselben irgendwo anfinden, so bitte ich, mich zu benachrichtigen.

                                                    Hausw. Stechmann, Sülsdorf.


Shag=Taback, Nordhäuser, Kopenhagener, Lübecker Kautaback, Schnupftaback, sowie verschiedene Sorten Rauchtaback empfiehlt

                                                    Friedr. Eckmann,
                                                    Siemzerstraße 199.


Den                                                    
Alleinverkauf

meiner auf der Düsseldorfer Gewerbe-Ausstellung prämiirten Rauchtabak-Fabrikate für Schönberg habe ich dem Herrn

H. Brüchmann

übertragen.

Burgsteinfurt, den 30. September 1893.
        (Westfalen.)

                                                    Fr. Rotmann.


Tanzmusik
am Sonntag den 19. d. M.
Menzendorf.                                                     H. Rebbin.


Großherzogliches Hoftheater zu Schwerin.
Zweite Fremden-Abonnements-Vorstellung für die Abtheilung I.
am Montag, den 20. November 1893.
Bastien und Bastienne.
Singspiel in 1 Aufz. von Mozart=Fuchs.
Der Bajazzo.
Drama in 2 Aufzügen von Leoncavallo.
Anfang 6 1/2 Uhr.                                                     Ende 9 Uhr.
Schwerin, 14. November 1893.                          
Großherzogliche Hoftheater-Intendantur.


Gefunden in Schönberg eine Schachtel mit Geld auf der Chaussee vom Schützenhaus nach Sudier seinem Hause.

                                                    Arbeitsmann H. Schmüser,
                                                    Bauhof.


Kirchliche Nachrichten.
Sonntag, 19. November.

Vormittagskirche: Consistorialrath Kaempffer.
Abendkirche (6 Uhr): Pastor Krüger.
   Amtswoche: Consistorialrath Kaempffer.


Abgang der Eisenbahnzüge von Schönberg.
nach Lübeck:
10,04 Vorm. 12,21 Mitt. 3,10 Nachm. 7,27 Abends 11,55 Nachts.
nach Kleinen:
8,1, Morg. 10,29 Vorm. 12,46 Nachm. 5,40 Nachm. 8,54 Abends.


Gefunden zwischen Wietingsbäk und Ziethen ein Packet Zeug. Eigenthümer kann es gegen Erstattung der Kosten zurückerhalten bei J. Kähler, Gr. Molzahn.


Marktpreise in Lübeck.
[Tabelle siehe im Abbild der Originalseite]


Getreide=Preise in Lübeck.
[Tabelle siehe im Abbild der Originalseite]


Viehmarkt in Hamburg.

Es kosten: kleine Schweine 55-57 M., große Schweine 56-57 M., Sauen 43-52 M., Kälber 80-95 M. per 100 Pfund.


Hierzu eine Beilage.
und Illustrirtes Beiblatt Nr. 46.


Redigirt, gedruckt und verlegt von L. Bicker in Schönberg.


[ => Original lesen: 1893 Nr. 90 Seite 5]

Beilage
zu Nr. 90 der Wöchentlichen Anzeigen für das Fürstenthum Ratzeburg.
(Schönberger Anzeigen.)
Schönberg, den 17. November 1893.


Aus deutschem Bauernleben in verschiedenen Jahrhunderten.

Die Grundlage aller höheren Kultur ist der Ackerbau. Die Seßhaftigkeit, die er bedingt, gab die Möglichkeit zu mannigfachster Ausgestaltung des Lebens: sie schuf feste Wohnungen, führte zur Umgrenzung des Besitzes und allmählich zum Begriff des Eigentums, lehrte den Menschen Zusammenleben mit anderen und begründete so die engeren und weiteren politischen Gemeinschaften, Gemeinden und Staat. Es ist demnach im tiefsten historischen Sinn richtig, wenn man sagt, daß der Bauernstand die Grundlage des Staates bilde. Und wo ein Staat diese Wahrheit vergessen und nicht beachtet hat, da hat sie sich ihm in gewaltsamen Erschütterungen, die wohl auch zu gänzlichem Untergang geführt haben, in zwingender Weise aufgedrängt. Auch in unserem Vaterland hat es nicht an Zeiten gefehlt, in denen diese Wahrheit in Vergessenheit geraten zu sein schien. Doch hat unser deutsches Volk sie glücklich überwunden; und heute, scheint es, sind wir von einer Unterschätzung des Bauernstandes und seiner Bedeutung weiter entfernt, denn je. Noch die jüngst vergangene Zeit hat Gelegenheit gegeben, zu erkennen, wie tief der Staat von der Ueberzeugung durchdrungen ist, daß ein gesunder Bauernstand zum Segen der Allgemeinheit erhalten bleiben müsse. Anderseits freilich will auch immer noch nicht die oft erhobene Klage von dem Druck, der auf dem Bauernstand lastet, verstummen. Dem gegenüber dürfte es nicht uninteressant sein, in einer Reihe von Bildern einmal deutsches Bauernleben in verschiedenen Jahrhunderten den Lesern vorzuführen und dadurch die Möglichkeit zu bieten, Vergangenheit und Gegenwart mit einander zu vergleichen.

1. Germanische Urzeit.

Nicht ohne Kenntniß von den Anfängen des Ackerbaus sind die Germanen gewesen, als sie in einer Zeit, über die uns geschriebene Geschichtsquellen nichts berichten, die weite europäische Ebene bis zum Rhein hin in Besitz nahmen. Was kein Geschichtsschreiber uns zu melden weiß, die Sprache hat es uns verraten: den Völkern, die aus der asiatischen Heimat nach Europa eingewandert, sind gemeinsam die Namen der wichtigsten Haustiere und Getreidearten und, was mehr bedeuten will, die Ausdrücke für Pflug und pflügen, Egge und eggen, Same und säen, Sichel und mähen, Furche, Bett, Korn, Aehre und Spreu, sogar für einen umfriedigten Raum, den Garten. Vor ihrer Trennung müssen also diese Völker, Kelten, Germanen und Litthauer, Griechen und Römer, Viehzucht und Ackerbau getrieben haben. Aber man darf den letzteren in seiner Bedeutung ja nicht überschätzen. Als halbe Nomaden zogen die Germanen in das Land ein, und halbe Nomadenhaftigkeit zeigt ihr ganzes Dasein noch zur Zeit Cäsars, des römischen Geschichtsschreibers im letzten Jahrhundert vorchristlicher Zeitrechnung. Von Sueven, dem mächtigsten der germanischen Stämme, sagt dieser Schriftsteller: "Es giebt bei diesem Volk kein besonderes und durch Grenzmarken getrenntes Grundeigentum, da sich die Sueven nie länger als ein Jahr an dem gleichen Ort dauernd aufhalten dürfen. Auch nähren sie sich weniger von Getreide, als von der Milch und dem Fleisch ihrer Herden." An einer anderen Stelle: "Mit dem Ackerbau beschäftigten sie sich nicht eifrig, und der größere Teil ihrer Nahrung besteht in Milch, Käse und Fleisch. Auch besitzt niemand bei ihnen ein bestimmt abgemessenes Feld oder eigenes Bereich. Nur ganze Stämme und Geschlechter, welche zusammenhalten, bekommen alljährlich von ihren Obrigkeiten und Häuptlingen, soviel und wo diese es für gut finden, Feld angewiesen, müssen aber im folgenden Jahr anderswohin ziehen." Deutlich zeigen diese Worte, so sehr man auch über den Sinn der einzelnen streiten mag, daß das Volk erst auf der Uebergangsstufe von nomadisierenden Viehzüchtern zu seßhaften Ackerbauern steht. Sein Ackerbau ist offenbar eine noch ziemlich wild betriebene Feldgraswirthschaft, bei der auf einjährige, mehr gelegentliche Ackernutzung mehrjährige Grasnutzung folgte, falls man überhaupt so lange in derselben Gegend verweilte und nicht die Wildnis auf dem nur notdürftig urbar gemachten Fleck wieder die Oberhand gewinnen ließ. Vielfach ward eben gleichsam nur im Vorüberziehen gesät und geerntet. Nur das Allernötigste wurde dem in rohester Weise ohne Aufwand großer Mühe bearbeiteten Boden, den der Holzpflug nur oberflächlich ritzte, abgewonnen. Der Pflug war primitivster Art: ein gekrümmter Ast, am Ende durch einen Stein beschwert, mag die ursprüngliche Form gewesen sein; wenigstens bedeutet das gothische Wort für Pflug im Litauischen Ast. Das Getreide wurde geschnitten, durch Vieh ausgetreten, die Körner zwischen Steinen zerquetscht oder zerrieben und als Brei oder geröstet gegessen. Nicht minder primitiv war die Wohnung: sie ist nicht festgegründet wie das Steinhaus der Römer und Kelten, sondern ein Holzbau kunstlosester Art, sogar transportabel, wie denn nach dem alten Rechtsspruch "was die Fackel verzehrt ist Fahrniß" das Holzhaus als fahrende Habe anzusehen ist. Es war solche im eigentlichsten Sinn des Wortes. Denn nur mit den vier Eckpfosten ruhte es auf dem Erdboden, von dem man mittelst Leitern in das Innere gelangte; in dem leeren Raum unter dem Boden der Hütte stand der große breite Ochsenwagen; leicht führte er die Hütte davon, wenn irgendwelche Gründe die Bewohner nöthigten, die Gegend, kaum mag man sie schon Heimath nennen, zu verlassen. Natürlich ist mit dieser Lebensweise auch der Begriff persönlichen Grundeigenthums unvereinbar. In der That kennt die germanische Urzeit solches nicht; ja nicht einmal Sondernutzung dürfen wir für die älteste Zeit annehmen. Die Gesammtheit bewirthschaftete den Boden und der Ertrag wurde verteilt. Allmende d. h. unvertheiltes Gemeindeland war der gesammte Boden in der germanischen Urzeit. Verhältnißmäßig ausgedehnt mußte aber bei der geschilderten halbnomadisirenden Lebensweise der Feld=, Wald= und Weidegrund eines Stammes sein. Doch die Volkszahl der Germanen wuchs außerordentlich schnell, so schnell, daß die Römer ein Grauen beschlich vor dieser gewaltigen Volkskraft, die sich in dem Kinderreichthum der germanischen Ehen offenbarte. Mit dem Wachsen der Volkszahl wurde der Raum für einen so halb nomadenhaften Betrieb der Feldwirtschaft, einen solchen Raubbau allmählich zu eng. So vollzog sich etwa um den Beginn unserer christlichen Zeitrechnung natürlich da und dort zu etwas verschiedener Zeit, am frühesten wohl in den Grenzlanden an der Donau und am Rhein, wo man von den gebildeteren Nachbarn lernte, auch die Bodenerzeugnisse leichter verwerthen konnte, der Uebergang zu wirklicher Seßhaftigkeit und damit zu besserer, freilich immer noch sehr einfacher Bewirthschaftung des Bodens.

II. Im ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung.

Der Uebergang von dem Zustand, wie ihn Cäsars Bericht uns zeigt, zu dem fortgeschritteneren, den wir aus der Schrift seines Volksgenossen Tacitus über Germanien kennen lernen, vollzog sich natürlich stufenweise. Als erste Stufe haben wir wohl den Eintritt wirklicher Seßhaftigkeit zu betrachten. Von einem ständigen Wohnungswechsel, wie er nach Cäsar bei den Germanen stattfand, weiß Tacitus nichts. Aber auch jetzt gab es wahrscheinlich noch kein Eigentumsrecht des Einzelnen an der Feldmark, an Weide und Wald. Dagegen sind die Wohn= und etwaigen Wirtschaftsgebäude, also der Hof im engeren Sinn, als Eigenthum der einzelnen Familie anzusehen. Der Giebelbalken des Blockhauses trug nun das handgemôl, d. h. die

[ => Original lesen: 1893 Nr. 90 Seite 6]

Haus= und Hofmarke der Familie, meist eine in den Balken geschnittene Rune. Aber das Land selbst war noch Gemein=Eigenthum, an welchem dem einzelnen nur ein Nutzungsrecht zustand, und zwar ursprünglich wohl in der Weise, daß die Nutzung ein und desselben Landloses reihum bei den Stammesgenossen wechselte. Diese wechselnde Nutzung muß jedoch nach Eintritt wirklicher Seßhaftigkeit bald einer festen Sondernutzung Platz gemacht haben, am frühesten da, wo die Ansiedelung in einzelnen Höfen, später da, wo sie in Dörfern erfolgte, da diese letztere Ansiedelungsweise eine solche Wechselnutzung eher gestattete. Erblichkeit der Sondernutzung wird dann allmählich zum Sondereigenthum geführt haben, neben dem jedoch immer noch als Allmende d. h. als unvertheiltes Gemeindeland Wiesen und Wald blieben; an diesen hatte der einzelne nur Nutzungsrecht; immer erst die zur Feldnutzung urbar gemachten Strecken des Urwaldes wurden unter die einzelnen vertheilt, wobei die Vermessung des Landes durch sogenannte Sonnentheilung, d. h. mittels Stange und Seil, die Zutheilung vielleicht durchs Los erfolgte. Für genügend groß galt ein Landlos von 20-40 Morgen (Morgen: soviel man mit einem Gespann an einem Morgen pflügen kann. Die Bezeichnung für das gesammte Recht, welches dem freien Stammgenossen, dem altdeutschen Bauer, an Grund und Boden zustand, nach den obigen Ausführungen also für das Eigenthum der Haus= und Hofstätte, sowie später auch des Ackerlandes und für die Mitbenutzung der Allmende war das Wort Hufe, wovon der in manchen Gegenden so überaus häufige, allerdings erst durch Zusammensetzung zum Eigennamen gewordene Name Huber abzuleiten ist. Werfen wir nun einen Blick auf eine germanische Ansiedlung jener Zeit. Auf schwer gangbarem Pfad, von Bülte zu Bülte springend, oder auf holprigem Knüppeldamm müssen wir das Sumpfige Waldland durchdringen, um endlich eine Lichtung zu erreichen, deren Nähe Herden von Borstenvieh, das bei der Eichelmast sich grunzend im Schlamme wälzt, uns verraten haben. Vor uns liegt die Lichtung, ein Wiesengrund, durch den schäumend ein Bach dahinschießt. Rinder und Pferde, Schafe und Ziegen weiden im Talgrund und an den Berghängen, alles kleine und unansehnliche Rasse. Wir gehen weiter und kommen zum Ackerland. Gerste und Roggen, Hafer, Dinkel und Weizen wachsen daselbst, aber spärlich nur ist auf dem rauhen Boden der Ertrag und unrein die Frucht. Bald haben wir den umfriedeten Hof erreicht, den eine Hecke oder ein kunstloser Zaun einschließt. Ein breites Thor, nichts weiter als ein drehbarer Balken, gewährt Mensch und Vieh und Wagen den Einlaß. Vom Giebel des Hauses grüßt uns, roh gearbeitet, der Pferdekopf Wotans, des Allvaters heilige Zeichen, darunter, dem Balken eingeritzt, die Rune, des Hufners Hausmarke. Das Blockhaus ist aus oberflächlich behauenen Stämmen gefügt, mit Lehm verschmiert oder mit Moos verstopft die Ritzen. Neben der Thür sind andere Oeffnungen, unseren Fenstern entsprechend, Augenthüren, wie sie die gothische Sprache nennt. Wir treten in den Hauptraum, ursprünglich und bei den minder Begüterten lange Zeit den einzigen des Hauses, die Halle. Der Boden ist festgestampfter Lehm; in der Mitte steht der Herd, zugleich der Opferaltar. Der Rauch seines Feuers, nachdem er den Bewohnern die Augen gebissen und die Balken geschwärzt, sucht sich einen Ausgang durch die Oeffnungen und durch die Stroh= oder Schilfbedachung des Hauses; vielleicht finden wir auch eine besondere Oeffnung im Dache grad über dem Herd, das "Windauge" (daher engl. Window), das dem Rauch Ausgang, freilich ebensogut dem Schnee und dem Regen Eingang gewährt. Einfach und roh ist das Hausgeräth; ein plumper Tisch, von nicht minder plumpen Bänken umgeben, an der einen Kurzseite, zwischen den beiden Stützbalken der Halle, ein erhöhter Platz, der Hochsitz für den Hausherrn, der Sonne zugekehrt. Verschläge an den Langseiten der Halle dienen als Schlafstätten und Vorrathskammern; vielleicht bezeichnen auch nur Vertiefungen im Lehmboden, mit Stroh und Moos ausgefüllt, worüber ein Thierfell gebreitet, das Lager. Ein großer Stein, ein Holzblock, beim Hausbau abgefallen, dient als Stuhl, bequem genug dem harten Geschlecht. Von Pflöcken rings an den Wänden hängen die Waffen herab, des Hausherrn Stolz und Zierde, daneben des Auerstiers Horn, daraus er seinen Meth oder den Gerstentrank in tiefen Zügen trinkt. Das Vieh ist draußen auf der Weide, sonst theilte es wohl friedlich mit den Menschen den Raum der Halle. So das Heim des altdeutschen Bauern, des Gemeinfreien um den Beginn unserer christlichen Zeitrechnung. Nicht viel besser sah es beim Edelnig der alten Zeit aus. Vielleicht war sein Hof etwas stattlicher; er hatte vielleicht besondere Gebäude oder wenigstens einen abgetrennten Theil der Halle für das Vieh; das Haus mochte wohl hier und da auch Schlafräume neben der Halle haben; die Waffen mochten kostbarer, das Trinkhorn mit edlem Metall beschlagen sein. Aber im ganzen und großen lebt er nicht anders als der Gemeinfreie auch. Und kaum nennenswerth, mehr in freiwillig dargebrachter Schätzung als in gesetzlich abgegrenzten Befugnissen bestehend, sind die Vorrechte, die er besitzt. Der Gemeinfreie, der Bauer, schreitet so gut wie der Edeling zum Ding, wo er über das gemeine Wohl und Wehe berät, er kürt wie jener den Herzog oder König, er trägt wie jener die Waffen, er ist wie jener Herr in seinem Haus und sieht in Krieg und Jagd, im Tagen auf dem Ding und in Gelagen in der Halle des freien Mannes einzig würdige Beschäftigung, die Haus= und Feldarbeit den Weibern und den Sklaven überlassend.


        - Nr. 23 des "Officiellen Anzeigers für das Fürstenthum Ratzeburg" pro 1893 enthält
  II. Abtheilung.

(1.) Bekanntmachung, betreffend die Einberufung des Deutschen Reichstages.
(2.) Bekanntmachung, betreffend die für Leistungen an das Militair zu vergütenden Durchschnittspreise von Naturalien pro Monat Septbr. 1893.
(3.) Bekanntmachung, betreffend die Beschädigung der Telegraphenanlagen.
(4.) Bekanntmachung, betreffend den Versand von Postpacketen nach Persien.
(5.) Bekanntmachung, betreffend den Versand von Postpacketen nach Britisch=Central=Afrika.
III. Abtheilung. Dienst= etc. Nachrichten.


Schönberg. Als Geschworener für die am 4. December beginnende diesjährige vierte ordentliche Schwurgerichtsperiode wurde am 15. Novbr. aus dem hiesigen Fürstenthum der Domänenpächter Rusch=Kl. Rünz ausgeloost.
- Das preußische Staatsministerium bestätigte in seiner letzten Sitzung das Disziplinarerkenntnis des Provinzial=Schulkollegiums, das Ahlwardt zur Amtsentsetzung verurteilt.
- Lieutenant Grahl vom Rhein. Fuß=Art.=Regt. Nr. 8 in Metz stürzte so unglücklich vom Pferde, daß er an den Folgen des Sturzes starb.
- Während der heurigen Reisesaison wurden die bayrischen Königsschlösser von 57 774 (im Vorjahre 50 479) zahlenden Personen besucht.
- Gegen Maul= und Klauenseuche. In der Sitzung der Düngerabtheilung der deutschen Landwirthschaftsgesellschaft zu Königsberg theilte Herr Gutsbesitzer Vibrans=Wendhausen mit, daß auf Torf stehendes Vieh von der Maul= und Klauenseuche verschont geblieben, während in der Nachbarschaft diese Seuche allgemein in besorgnißerregender Weise aufgetreten sei. Derselbe schreibt dies dem Umstande zu, daß die im Torf enthaltene Säure die Bakterien, welche die Seuche hervorrufen, tötet. Die von Herrn Vibrans aufgestellte Behauptung ist neuerdings durch die wissenschaftlichen Untersuchungen, die Herr K. Schröder im hygienischen Institut der Universität Marburg aufgeführt hat, bestätigt worden. Derselbe will nämlich gefunden haben, daß Typhusbazillen, Cholerabazillen und ähnliche krankheitserregende Mikroorganismen durch Torfmull in ihrem Wachsthum behindert und zum Absterben gebracht werden Demnach hätte die Landwirtschaft kein besseres Mittel, die Viehstände von der bösen Klauenseuche zu schützen, als reichliche Anwendungen von Torfstreu, die zugleich am billigsten und besten die flüssigen wie festen Dungstoffe konservirt.


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