No. 29
Die Anzeigen erscheinen wöchentlich zweimal.
Dienstags und Freitags

Schönberg, den 14. April
1882
zweiundfünfzigster Jahrgang
Preis vierteljährlich 20 Schilling (Mecklenburg) jährlich 1Mark (Lübeck) 32Schilling (Mecklenburg).
Jahrgang
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[ => Original lesen: 1882 Nr. 29 Seite 1]

Politische Rundschau.

Nach den jetzigen Bestimmungen scheint der Reichstag am 27. April zusammentreten zu sollen.
Der Papst soll in der Audienz am 12. März zu Herrn von Schlözer gesagt haben: Jede Unterhandlung auf Grundlage discretionärer Vollmachten sei ein Ding der Unmöglichkeit. So lange man in Berlin an den Maigesetzen festhalte, sei ein Modus vivendi nicht denkbar, geschweige ein definitiver Ausgleich zu erreichen. Wolle man dagegen mit den falschen Grundsätzen, auf welchen die Mai=Gesetze beruhten, brechen und die Wechselbeziehungen zwischen dem Staate und der katholischen Kirche durch eine wohlabgewogene Gesetzgebung neu ordnen, so sei die Curie bereit, bis an das äußerste Maß der Nachgiebigkeit zu gehen und Alles zuzugestehen, was nicht in allzu schroffem Widerspruche mit den Satzungen der Kirche stehe.
Frau Times in London läßt sich von ihrem Berichterstatter in Paris erzählen, daß ein geheimer Vertrag zwischen Deutschland und Schweden bestehe, nach welchem Schweden die Verpflichtung übernommen habe, im Falle eines Krieges mit Rußland seine Flotte gegen Rußland auszuschicken und dafür Finnland einzuheimsen (das die Russen s. Z. den Schweden abgenommen haben). Derselbe Berichterstatter weiß auch zu erzählen, daß im Falle eines Krieges Deutschland durch einen kühnen Marsch binnen weniger Tagen das Königreich Polen von Rußland abschneiden und alle russischen Garnisonen daselbst einschließen werde.
Am Montag den 24. d. M., beginnen in Wien die Verhandlungen gegen diejenigen Personen, welche angeschuldigt sind, beim Brande des Wiener Ringtheaters durch Nachlässigkeit und Pflichtversäumniß den Tod von Hunderten von Personen verschuldet zu haben. Man wird überall mit der gespanntesten Aufmerksamkeit diesem Proceß folgen, der sich auf eine Katastrophe bezieht, welche auf der ganzen Erde Trauer und Theilnahme erregt hat.
Frankreich. Aus Monaco kommt die seltsame Nachricht, daß betreffs der Frage der Unterdrückung der Spielhölle gelegentlich der neulich stattgehabten Unterredung mit Grevy und Freycinet der Prinz von Monaco energisch für die Aufrechterhaltung des Status quo eingetreten sein und erklärt haben soll, im Falle Frankreich das Casino zusperren ließe, das Fürstenthum an die Vereinigten Staaten zu verkaufen, wenn nicht an Deutschland oder Rußland, welche gleichfalls vortheilhafte Präpositionen gemacht hätten.
England. Die Vorarbeiten zum Bau des Tunnels zwischen Frankreich und England sind auf Befehl der Regierung eingestellt worden, bis eine vom Parlament niedergesetzte Militaircommission ihr Gutachten über das Project abgegeben habe. (Die Engländer haben also wirklich Furcht! Ein bischen böses Gewissen wegen ihres perfiden Verhaltens in allen europäischen Angelegenheiten wird dabei auch im Spiele sein.
Rußland. Man schreibt aus St. Petersburg: Wenn der General=Gouverneur von Moskau, Fürst Dolgorucki, bei seinem letzten Hiersein, dem Kaiser erklärte, er wage nicht die Verantwortung für dessen Sicherheit während der Krönung in Moskau zu übernehmen und rathe vielmehr, die Krönung aufzuschieben, so kann ihm das, nachdem, was jetzt dort alles entdeckt worden, Niemand verargen. Im Gegentheil; denn der Fürst hat wenigstens den Muth gehabt, die Ohnmacht der reaktionären Maßnahmen des letzten Jahres, gegenüber dem Nihilismus, einzugestehen; während andere Rathgeber des Kaisers diesen und sich selbst noch immer darüber zu täuschen versuchen, daß besagte Mittel, sich wenigstens dieser Richtung, günstig erwiesen. Wohl ist es wahr, daß der Polizei wichtige Entdeckungen gelungen sind, daß mehr wie ein Hauptführer der Revolutions=Partei sich in ihren Händen befindet, aber es läßt sich nicht leugnen, daß Alles dies keinen allzugroßen Einfluß auf die Revolutions=Partei ausübte. Das beweisen gerade die neuesten Entdeckungen der Polizei. An Stelle jedes Verhafteten und Verurtheilten oder Gehängten erscheinen sofort Ersatzmänner. Es trat wohl eine momentane Stockung in ihren geheimnißvollen Bestrebungen ein, sonst aber erstarkt die Partei, anstatt abzunehmen. Nur ein Blinder kann daran zweifeln. Das höhnische Wort der beiden Odessaer Mörder: "Hängt uns Zwei nur, wir sind allein in Odessa 300; bleiben also noch 298", scheinen mehr zu sein, wie bloße Prahlerei. Dem General Strelnikow war übrigens, laut Odessaer Privatnachrichten, ein vom "Revolutionskomite" ausgefertigtes Todesurtheil zugegangen, welches angeblich als Hauptgrund anführte, der General habe als Militär=Prokurator in einem Nihilisten=Prozeß in Kiew einen 19 Jahre alten Menschen, gegen den weiter nichts vorlag, als die Beschuldigung, Proklamationen vertheilt zu haben, zum Tode verurtheilt und hängen lassen. Der wirkliche Hauptgrund für seine Ermordung aber dürften doch wohl die von dem General in jüngster Zeit in Odessa herbeigeführten Entdeckungen nihilistischer Geheimdruckereien gewesen sein, welche eine Masse Verhaftungen dort, hier und in Moskau nach sich zogen. Noch schlimmer wie in Odessa, dürfte es in Moskau aussehen. Trotzdem dort seit Monaten die Polizei Alles mit Argusaugen überwacht, namentlich im Kreml mit seiner Umgebung, die Einzugsstraße etc., brachten die Nihilisten es fertig, dicht beim Kreml in der Einzugsstraße, eine Mine, ähnlich jener in der hiesigen "kleinen Sadowaja", die nach dem letzten Attentat auf Alexander II. entdeckt worden, herzustellen. Sie wählten dort einen "Blumenladen", von dessen Keller aus sie eine Miene unter dem Straßendamm vorgetrieben. In einem Blumengeschäft fiel es auch gar nicht auf, daß ganz offen ausgegrabene Erde transportirt wurde. Der Leiter der Minenarbeit und Besitzer des Blumengeschäfts soll wiederum "Kobosew" gewesen sein. Durch die Entdeckung dieser Mine, welche eine Menge neuer Verhaftungen nach sich zog, hat sich die Gefährlichkeit eines Moskauer Aufenthalts für den Czaren wohl etwas gemindert, aber wer kann wissen, was von den Revolutionären dort außerdem noch vorbereitet ward. Wenige Stationen diesseits Moskau soll ebenfalls eine, bis unter die Haltestelle der Züge, vom Stationsgebäude aus vorgetriebene Mine aufgefunden worden sein. So erzählt man wenigstens in Eisenbahnkreisen. Im Dorfe Nowischky (zum Myssowkischen Wolost gehörig) entdeckte die Polizei im Hause des Tischlers Ssukonow abermals eine Geheimdruckerei.

[ => Original lesen: 1882 Nr. 29 Seite 2]

Der Moskauer Zeitung zufolge beabsichtigt das russische Kriegsministerium, sofort nach Schluß der Lagerzeit 37,500 Mann zu beurlauben.
Durch kaiserlichen Befehl ist der Minister des Auswärtigen, Reichkanzler Fürst Gortschakoff, wegen seines hohen Alters von seinem Amte entbunden und zu seinem Nachfolger der Staatssecretair v. Giers ernannt. Durch diesen Wechsel zeigt die jetzige russische Regierung den Willen, eine friedliebende und besonders deutschfreundliche Politik zur Geltung zu bringen, was gerade in diesem Augenblicke besondere Beachtung verdient.
Türkei. Am Goldenen Horn brütet man noch immer über der Lösung des Räthsels, wie man die russische Kriegsentschädigung ohne Geld bezahle. Der Sultan, welcher Großmuthsanwandlungen weit leichter hat als baares Geld, hatte Herrn von Novikow eine jährliche Abzahlung von 300,000 Pfund zugesagt; seine Minister aber wissen diesen Betrag nicht zu decken, und so gehen die Unterhandlungen zwischen dem Sultan, der Pforte und Herrn v. Novikow hin und her. Der deutsche Einfluß erhält sich in Konstantinopel immer noch auf seiner bisherigen Höhe, da der Sultan überzeugt ist, daß Deutschland nur die Erhaltung des Friedens im Auge hat, für den der schwächste Punkt die Türkei ist. Gegen die Unternehmungen, welche westliche Capitalisten im Osten zu begründen bestrebt sind, verhält sich der Sultan jedoch fortwährend entschieden ablehnend. Dies gilt namentlich von der Euphratbahn, um welche englische und amerikanische Bewerber sehr eifrig bemüht sind.


Neustrelitz, 2. April. Heute Morgen starb hier im Alter von 100 Jahren 2 Monaten und 16 Tagen die am 15. Januar 1782 geborene Fiken Stamer, in der Stadt auch " Fiken Buschriver" genannt, da sie lange Jahre im Hause des längst verstorbenen Bauschreibers Beuthe gedient hatte. Die ehrsame alte Jungfrau, welche der Huld der Frau Großherzogin einen sorgenlosen Aufenthalt in dem Asyl für unbescholtene arme Wittwen und Jungfrauen verdankte, verschied ohne Krankheit sanft und plötzlich. Sie hatte bis an ihr Ende ihre Verstandeskräfte bewahrt. (M. A.)
Schwerin, 10. April. Beim hiesigen Großherzoglichen Hofe ist heute früh die telegraphische Nachricht eingetroffen, daß Ihre Kais. Hoheit die Frau Erbgroßherzogin Anastasia Michailowna gestern Abend 10 Uhr in der Villa Belmonte zu Acquasante bei Palermo von einem Prinzen leicht und glücklich entbunden ist. Von den Häusern der Stadt wehen Fahnen und Flaggen zur Bezeigung der Freude über dieses für das Großherzogliche Haus wie für das ganze Land hocherfreuliche Ereigniß. In dem heutigen Vormittags=Gottesdienste wurde bereits das Dankgebet für die glückliche Entbindung gesprochen. Das Telegramm, durch welches der Erbgroßherzog die Geburt seines ersten Sohnes dem Großherzoge angezeigt hat lautet: "Palermo, 10. April 1882, 1 Uhr 15 Min. (das Datum bezeichnet den Tag der Aufgabe.) Anastasia heute, Ostersonntag, Abends 10 Uhr, von einem kräftigen Sohn leicht und glücklich entbunden. Wir danken Gott für seine Gnade. Sind überglücklich. Friedrich." (Pr. Krz. Ztg.)
- Der Herzog von Nassau hat sich als bayrischer Standesherr in die Adelsmatrikel eintragen lassen. Zum hohen Adel d. h. zu den vor Auflösung des römisch=deutschen Reiches souveränen und reichsunmittelbaren Geschlechtern gehören 18 Familien: die Bassenstein, Castell, Erbach, Fugger, Giech, Hohenlohe, Leiningen, Löwenstein, Oettingen, Ortenburg, Pappenheim, Quadt, Rechten, Schönborn Taxis und Walburg. Die Nassauer führen ihren Stammbaum auf den 1151 gestorbenen Grafen Robert von Laurenburg zurück (unter den Hohenstaufen). Die Grafen Castell rühmen sich, daß ein Burggraf von Hohenzollern ihr Ministeriale (Dienstmann) gewesen und führen ihr Geschlecht auf einen Grafen Meginzoz um 816 zurück. Das älteste bayrische, dem Uradel angehörige Geschlecht ist das der Ortenburger, die meisten andern sind eingewandert. So alt ist aber keines wie das der französischen Montmorency's, das schon vor der Sündfluth blühte. Heute noch ist in der Kirche in Montmorency, ein uraltes Gemälde zu sehen, das die Arche Noah darstellt und auf sie zuschwimmend ein Livrediener des betr. Hauses, der ein kleines Kästchen in die Höhe hält und in seinem Munde einen Zettel trägt mit der Aufschrift: Monsieur Noah, bitte, retten Sie die Familienpapiere des Hauses Montmorency.
- Wer 41 Jahre erster Kammerdiener beim König und Kaiser Wilhelm gewesen, der muß kein gewöhnlicher Mensch sein. Dieser nicht gewöhnliche Mensch, ist Herr August Engel, der wie bereits gemeldet worden, vor einigen Tagen sein 50jähriges Dienstjubiläum gefeiert hat.
Sohn eines Forstbeamten in Schönholz bei Eberswalde, wurde Engel mit 18 Jahren Soldat, genügte seiner dreijährigen Militairpflicht und fungirte dann nahezu sechs Jahre als Forstbeamter im Biesenthaler Revier. Anfang des Jahres 1841 trat er seine jetzige Stellung an, der er mit solcher Pflichttreue und Ergebenheit vorstand, daß er sich rühmen darf, niemals von seinem kaiserlichen Herrn ein böses Wort oder auch nur ein unfreundliches Gesicht gesehen zu haben. Auf allen Inspektionsreisen und Manövern war Engel der Begleiter des Monarchen, er folgte ihm im Jahre 1858 zur Hochzeit des Kronprinzen nach England; er kleidete den Kaiser zur Krönung in Königsberg und zu der Kaiserproklamation in Versailles am 18. Januar 1871. Das im Hohenzollern=Museum befindliche Bild, welches darstellt, wie dem Kaiser das erste eiserne Kreuz erster Klasse angeheftet wird, enthält auch Engels wohlgetroffenes Portrait. Trotz seiner 68 Jahre erfreut sich Engel einer ebenso großen geistigen, wie körperlichen Rüstigkeit, ist ein großer Jagdliebhaber, und seine Wohnung zeigt eine reiche Sammlung schöner Möbel, welche aus den Geweihen selbsterlegten Roth= und Dammwildes angefertigt ist. Das Jagdrevier, auf welchem Engel und die sonstigen Bediensteten aus der näheren Umgebung des Kaisers jagen, und welches der Kaiser eigens für seine Diener gepachtet hat, befindet sich unweit Jüterbog und hat eine Ausdehnung von ca. 16,000 Morgen. Der älteste Sohn des Jubilars ist Professor an der medizinisch=chirurgischen Fakultät in Philadelphia, der zweite hat eine geachtete Stellung in einem großen berliner Geschäfte; seine Tochter Fräulein Martha Engel, war einige Jahre Lehrerin, hat sich jedoch neuerdings ausschließlich der Gesangskunst gewidmet. Schon am Tage vorher erhielt der Jubilar zahlreiche Glückwunschschreiben und Depeschen, so vor Allem aus Baden=Baden ein Telegramm, in welchem die Großherzogin von Baden dem treuen Diener ihres kaiserlichen Vaters die herzlichsten Glückwünsche übermittelt. Die Jubilarfeier wurde um 1/2 8 Uhr Morgens mit einem Ständchen des Kaiser=Cornett=Quartetts eingeleitet. Im Laufe des Vormittags überbrachten die Grafen Pückler und Perponcher persönlich dem Jubilar ihre Gratulation. Vormittags 3/4 12 Uhr wurde er vor seinen kaiserlichen Herrn befohlen, eine Ehre auf welche der Jubilar nicht weniger stolz ist, als auf die 18 Orden und Auszeichnungen, welche seine Brust zieren.


Anzeigen.

In Sachen betreffend die Niederlegung eines Hypothekenbuches über das zu Schönberg an der Sabowerstraße sub Nr. 28 belegene Wohnhaus c. p. des Klempnermeisters Wilhelm Wieschendorf wird hierdurch zur öffentlichen Kenntniß gebracht, daß auf das am heutigen Tage abgehaltene Liquidations=Protocoll sofort im Termine der Praeclusivbescheid erlassen und publicirt worden ist.
Schönberg, den 4. April 1882.

Großherzogliches Amtsgericht.
G. Horn.

A. Dufft.       


Auf desfallsigen Antrag der Hauswirthe Oldenburg zu Niendorf und Retelsdorf zu Gr. Mist, als Vormünder des Johann Joachim Heinrich Wilhelm Kreutzfeldt, soll über die zu Niendorf sub Nr. III. belegene Vollstelle c. p. des genannten Curanden ein Hypothekenbuch niedergelegt werden, und werden daher alle Diejenigen, welche Realrechte an diesem Grundstücke zu haben vermeinen und deren Eintragung in das niederzulegende Hypothekenbuch verlangen, zu deren Anmeldung auf

Mittwoch, den 21. Juni 1882,
Vormittags 10 Uhr

[ => Original lesen: 1882 Nr. 29 Seite 3]

peremtorisch und unter dem Nachtheile hiemit aufgefordert, daß alle nicht angemeldeten und von der Anmeldungspflicht gesetzlich nicht

ausgenommenen Realrechte an dem proclamirten Grundstücke sowohl gegen den jetzigen als auch die künftigen Besitzer desselben erloschen sein sollen.
Ausgenommen von der Anmeldungspflicht sind jedoch diejenigen Gläubiger, welche ihre Forderungen auf einem, mit dem Siegel des Gerichts versehenen, vor dem Liquidationstermine ihnen vorzulegenden und von ihnen zu unterzeichnenden Postenzettel vollständig und richtig aufgeführt gefunden haben.
Schönberg, den 30. März 1882.

Großherzogliches Amtsgericht.
G. Horn.

A. Dufft.       


In Sachen, betr. die Zwangsversteigerung der der Ehefrau des Hauswirthes Köhncke gehörenden, zu Lüdersdorf sub Nr. II. belegenen Vollstelle c. p., ist in dem am 24. März d. Js. abgehaltenen Termin zur Anmeldung aller dinglichen Ansprüche an dieselbe, zur Vorlegung der Originalien und sonstigen schriftliche Beweismittel, sowie zur Ausführung etwaiger Erstigkeitsrechte sofort zu Protokoll das Ausschlußurtheil erlassen und verkündet worden, was hierdurch gemeinkundig gemacht wird.
Zugleich wird der auf

Freitag den 21. April 1882
Vormittags 11 Uhr

vor Großherzoglichem Amtsgerichte hieselbst angesetzte Ueberbotstermin über die qu. Vollstelle mit dem Bemerken in Erinnerung gebracht, daß in dem am 24. März cr. abgehaltenen ersten Verkaufstermin kein Gebot abgegeben worden ist.
Schönberg, den 3. April 1882.

Großherzogliches Amtsgericht.
Dr. jur. E. Hahn.

H. Diederich.       



Eichen=Lohrinden=Auction.

Am Freitag den 21. April Morgens 10 Uhr soll in Kösters Hotel zu Schönberg Eichen=Lohe zur Selbstgewinnung meistbietend bei freier Concurrenz verkauft werden:

A. Schlagbrügger Försterei.
Mechower Holz und Thandorfer Zuschlag
50-80 jährige Eichen mit ca. 80 Centner.
B. Rupensdorfer Försterei.
Rupensdorfer Holz.
50-80 jährige Eichen mit ca. 60 Centner.

Ad. A. ertheilt Herr Förster Blanck zu Schlagebrügge,
Ad. B. der Unterzeichnete auf Wunsch nähere Auskunft.
Schönberg i. M. den 12. April 1882.

Der Oberförster:                
C. Hottelet.       


Auctionsanzeige.

Der in Nr. 28 dieser Zeitung annoncirte Verkauf von Pfandsachen auf der Hauswirth Köhncke'schen Stelle in Lüdersdorf findet am

Sonnabend den 22. April d. J.
Vormittags 10 Uhr

statt.

Schönberg.                                                     Staffeldt, Gerichtsvollzieher.


Soeben ist im Verlage von Robert Jacoby in Neustrelitz erschienen: Lithographie

Sr. K. H. d. Grossherzogs
Friedrich Wilhelm von Mecklenb.-Strelitz.

Auf echt chines. Papier von G. Engelbach Subscriptionspreis 4 M. Ladenpreis 5 M.
Fertig eingerahmte Bilder in 3 Qualitäten

I. in braunem Antiquerahmen mit Goldleiste 12 M.
II. in schwarz=braunem Rahmen mit Goldleiste 10 M.
III. in dunkelbraunem Rahmen mit Goldleiste 7 M.

Die Lithographie zeichnet sich durch Billigkeit, vorzügliche Ausführung und Aehnlichkeit besonders aus.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen. Für Schönberg und Umgegend nimmt Herr C. Sievers gefällige Aufträge zur geneigten Besorgung an.
Neustrelitz, April 1882.

                          Robert Jacoby,
                          Buch= und Kunsthandlung.


Schulanzeige.

Die Aufnahme der Schulpflichtigen Knaben findet Montag den 17. d. M., Morgens 10 Uhr im Realschulgebäude statt. Vorzuzeigen ist dabei der Impfschein und von den nicht in hiesiger Gemeinde geborenen auch der Taufschein.

                                                    Der Direktor
                                                                      W. Ringeling.


Schul=Anzeige.

Der Sommercursus an der hiesigen Mädchenschule beginnt am Montag den 17. April um 7 Uhr Morgens. Die Aufnahme neuer Schülerinnen findet um 9 Uhr Vormittags statt, im Mädchenschulhause. Dieselben haben einen Impfschein vorzulegen, außerdem ist von auswärts geborenen Kindern ein Geburtsschein mitzubringen.
Schönberg den 31. März 1882.

Rector P. Russwurm.       


Waffen.

Revolver in allen Systemen u. Größen, Jagdgewehre in Perkussion, Lefaucheux und Cetralfeuer, (Lancaster) Büchsflinten, Scheibenbüchsen, Flobert-Salonbüchsen, geräuschlose Techins, Wind- u. Bolzenbüchsen, Schiess-Spazierstöcke, Stockflinten, Lefaucheux-Pistolen, Terzerole, Flobert-Pistolen, Revolver-Portemonnaies, Schlagringe, Todtschläger, Lebensvertheidiger, Dolch- u. Degenstöcke, Säbel, Hirschfänger, Waidmesser, Dolchmesser, Fechterklingen u. Utensilien, Patronen u. Munition aller Art zu allen Schußwaffen, sowie sämmtliche Jagdartikel u. Requisiten für Jäger etc. etc. empfiehlt die Waffenfabrik von

F. W. Ortmann in Solingen.
Ausführliche Preislisten versende franko u. gratis.


Die unterzeichneten Vormünder der Herold'schen Minorennen. Domhof i. R. machen bekannt, daß Sie Herrn Kapitain Aug. Müller zu Domhof 21 i. R. autorisirt haben, die ausstehenden Forderungen der Dom=Apotheke einzukassiren und zu quittiren. Um baldige Zahlung der ausstehenden Rechnungen wird ersucht.
Domhof=Ratzeburg den 12. April 1882.

Otto Rümker.                          A. Schlueter.
Güstrow i. M.                                       Kiel.      


Prima
Saathafer und Kleesaat,
sowie sämmtliches
Saatkorn
empfiehlt                          
                                                    H. F. Studemund.


Allgem. Gesellen=Krankenkasse.

Die Einzahlung des vierteljährigen Beitrages von Ostern bis Johannis geschieht am

Sonntag den 16. d. M.
Nachmittags 3 Uhr

im Lokale des Herrn Gastwirth Krüger hieselbst.
Schönberg im April 1882.

Der Vorstand.       


Auf dem Hofe Menzendorf bei Schönberg werden zum 1. Mai d. J.

2 Pferdeknechte

gesucht.


[ => Original lesen: 1882 Nr. 29 Seite 4]

Vom 1. Januar bis heute sind nachstehende Verluste bei unserem Verein angemeldet:

  1. Vom Hauswirth Möller=Sülsdorf 1 Pferd - 400 Mark.
  2. Vom Hauswirth Ahrendt=Gr. Siemz 1 Kuh - 135 Mark.
  3. Vom Hauswirth Will=Retelsdorf 1 Starke- 75 Mark.
  4. Vom Pächter Bielfeldt hier 1 Kuh - 135 Mark.
  5. Vom Hauswirth Tews=Bechelsdorf 1 Pferd - 150 Mark.
  6. Vom Hauswinh Planthaber= G. Mist 1 Kuh - 135 Mark.
  7. Vom Pächter Pumplün=Carlow 1 Kuh - 135 Mark.
  8. Vom Hauswirth Wigger=Grieben 1 Kuh - 135 Mark.
  9. Vom Hauswirth Robrahn=Pogez 1 Pferd - 400 Mark.
10. Vom Hauswirth Voye=Campow 1 Pferd - 250 Mark.
11. Vom Kaufmann Buschow=Selmsdorf 1 Kuh - 135 Mark.
12. Vom Büdner Janssen=Baeck 1 Pferd - 150 Mark.
13. Vom Schulzen Lühr=Lüdersdorf 1 Pferd - 500 Mark.
14. Vom Büdner Bollow=Sülsdorf 1 Kuh - 135 Mark.
und werden unsere Mitglieder ersucht zur Deckung dieses Schadens einen Beitrag von 80 Pfennig pro 100 M. Versicherungssumme am

Montag den 24. April, Morgens 10 Uhr

im Boye'schen Gasthause hierselbst einzuzahlen.
Schönberg den 13. April 1882.

Direction des Viehversicherungs=Vereins im Fürstenthum Ratzeburg.
                   Wilh. Heincke.


Jeder Selbstständige, welcher sich an der Constituirung eines

Gewerbe=Vereins
betheiligen will, wird aufgefordert, sich am          
Mittwoch den 19. d. Mts.
Abends 8 Uhr
im Boye'schen Locale einzufinden.          


Besten frischen                          
Chlorkalk,
sowie trocknen, stärksten
Seifenstein
empfiehlt                          
                                                    J. Ludw. D. Petersen.


Es sind                                                    
einige tausend Mark
in eine hiesige Landstelle und sichere Hypothek zu thun. Nachweisung giebt                          
                                                    Schäding, Kürschner.


Hierdurch die ergebene Mittheilung, daß ich meine

Gastwirthschaft

nach der Holstenstraße 321 (Keller) verlegt habe und bitte daselbst um geneigten Zuspruch.

                                                    Ergebenst
                                                    H. H. Meyer Wwe.
                                                    Lübeck.


Von Ostern d. J. an habe ich eine im Galgenmoor belegene, ein sehr echtes Kuhfutter erzielende

Wiese

zu verpachten. Ich bitte, daß Pachtliebhaber sich bei mir melden.
Schönberg den 6. April 1882.

Dora Mussfeldt.       


Zu allen auf der Maschine vorkommenden Näharbeiten, in und außer dem Hause empfiehlt sich

Christine Krenkow Wwe.       


Tanz=Unterricht.

Einem hochgeehrten Publikum die ergebene Anzeige, daß der Unterzeichnete gleich nach Ostern einen Tanz= und Anstands=Unterrichts=Cursus eröffnen wird.
Auf zahlreiche Betheiligung hoffend zeichne

                                              Hochachtungsvoll
                                                    Johs. Dohrmann.


Gefunden
eine silberne Cylinder=Damenuhr. Näheres beim
                          Schuhmacher Ludwig Meyer,
                          Siemzerthor Nr. 163 a.


Unter Gottes gnädigem Beistande wurde uns heute früh 4 Uhr ein gesundes Töchterlein geboren.
Domhof=Ratzeburg den 11. April 1882.

                                                    F. Stoppel u. Frau
                                                           geb. Dedelow.


Für alle Beweise freundliche Teilnahme, sowie Allen Denen, welche unserm lieben Schwiegervater, Großvater und Bruder die letzte Ehre erwiesen und ihn zu seiner Ruhestätte begleiteten, unsern innigsten Dank.
Schönberg den 13. April 1882.

                                                    Auguste Eckmann
                                                        geb. Behnke nebst Kindern.
                                                    J. F. Eckmann.


Auguste Klatt
Otto Düsing
Verlobte.
Schönberg.                                                    Rostock z. Z. Eutin.


Kirchliche Nachrichten.
Sonntag den 16. April.

Frühkirche: Fällt aus.
Vormittagskirche: Pastor Langbein.
     Amtswoche: Pastor Langbein.


Course notirt v. d. Mecklenburgischen Bank.
Schwerin, Donnerstag den 13. April 1882.
Die Course verstehen sich incl. Zinsen und Provision.
[Tabelle siehe im Abbild der Originalseite]


Getreide=Preise in Lübeck.
[Tabelle siehe im Abbild der Originalseite]


Markt=Preise in Lübeck.
[Tabelle siehe im Abbild der Originalseite]


Hierzu eine Beilage.


Redigirt, gedruckt und verlegt von L. Bicker in Schönberg.


[ => Original lesen: 1882 Nr. 29 Seite 5]

Beilage
zu Nr. 29 der Wöchentlichen Anzeigen für das Fürstentum Ratzeburg.
Schönberg, den 14. April 1882.


- Die Rosenzucht des Kunstgärtners Kölle in Augsburg ist weltbekannt. Nun schreibt die "Augsb. Abendztg.": Wer schon englische Rosen=Ausstellungen im Glaspalast in Sydenham oder im Garten der großen Gartenbau=Gesellschaft in London etc. gesehen hat, war erstaunt und entzückt über die prachtvollen Kulturexemplare aller Pflanzengattungen, die in England zur Schau ausgestellt werden. Viel trägt dazu allerdings englisches Klima, Geduld und Geld bei. Zweifellos steht England in Zucht großer, untadelhafter Kultur=Exemplare auf der ganzen Welt unerreicht da. Ganz besonders gilt dies von der Königin der Blumen, "der Rose". Man macht sich in Deutschland auch nicht annähernd einen Begriff von dem Umfang und der Schönheit eines in England ausstellungsfähigen Kulturrosenstockes. Es gereicht uns zum großen Vergnügen, melden zu können, daß wir von ganz Deutschland in Bayern zuerst Gelegenheit haben werden, solche angestaunte "Weltwunder" in Natura auf den nächsten großen bayerischen Frühjahrs=Blumenausstellungen, zunächst München und Nürnberg, sehen zu können. Dieses Verdienst gebührt dem unternehmenden Rosengärtner Wilhelm Kölle. Wir bekommen unter Anderm Rosenstöcke zu sehen in 3/4 m hohen und dito breiten Töpfen die Pflanzen selbst 1 1/2 bis 2 m hoch, 150 kg schwer und 7 m in Umfang, bedeckt mit einer Masse Rosenknospen. Herr Kölle konnte diese Riesenexemplare nur durch persönlichen Einkauf und nur durch das bindende Versprechen, sie nicht wieder in oder nach England zu verkaufen (für letzteres Land wären die Exemplare nicht zu kaufen gewesen) nach Deutschland entführen. Die Exemplare kamen Mitte November in Augsburg in zwei großen Eisenbahnwaggons an, und da in keinem der acht vorhandenen Glashäuser für die größten Pflanzen ein passender Raum war, mußte mitten im Winter ein großes Glashaus von Eisen mit entsprechender Warmwasserheizung hergestellt werden. Seit Mitte Februar sind nun sämmtliche Rosen im neuen großen Glashause untergebracht und entwickeln sich, trotz mancher Zweifel und unüberwindlich scheinender Hindernisse sehr schön. Die Preise wechseln zwischen 50 bis 1000 Mark per Stück. Das Alter ist 5 bis 26 Jahre. Die Rosen sind zum Verkauf bestimmt und werden zum Selbstkostenpreis abgegeben.
- Wir möchten anläßlich der gegenwärtigen Witterungsverhältnisse auf ein Gelegenheitsschriftchen aufmerksam machen, welches der um die Landwirthschaft hochverdiente Herr Rittergutsbesitzer C. Hoffmann in Seudach bei Eisfeld im vorigen Jahre in Speyer (L. Gilardon'sche Buchdruckerei) hat erscheinen lassen: "Versuch die schädliche Wirkung der Frühjahrs=Morgenfröste von einigen landwirthschaftlichen Culturpflanzen abzuhalten." Der Verfasser erörtert eingehend Entstehen und Wirkungen dieser so gefährlichen Fröste, ihr verschiedenartiges Auftreten je nach Beschaffenheit des Bodens, sowie die Möglichkeit, durch genaue und regelmäßige Thermometerbeobachtungen den drohenden Morgenfrost am Abend vorher zu erkennen. Das Mittel, wodurch der Verfasser 600 Morgen Forst, Feld und Wiese und Garten (1400 Fuß über dem Meere in den beiden gefährlichen Frühjahren 1880 und 1881) frostfrei erhalten hat, besteht in der Erzeugung eines Rauches, der durch unvollkommene Verbrennung, am besten von mäßig feuchter Waldstreu, auf Rosten von Holzscheiten hervorgebracht wird. Die helle Flamme muß stets wieder gedeckt werden, um den Rauch am Boden zu halten und so die verderbliche Wärmeausstrahlung - die eigentliche Ursache der Morgenfröste - zu verhindern. Die Herstellungskosten des Rauches betragen pro Morgen nicht mehr als 2 bis 3 Pfennige.
- Eine Luftballonfahrt im Schneegestöber, wie eine solche am 2. Feiertag von dem berliner Luftschiffer Herrn Richard Opitz mit seinem neuerbauten Ballon "Berlin" von der "Neuen Welt" aus ausgeführt wurde, dürfte nicht oft dagewesen sein. Obschon das Wetter eine sehr üble Laune zeigte, hatten sich doch bis ca. 8000 Menschen in der "Neuere Welt" eingefunden. Um 6 Uhr Nachmittags, nachdem die Gondel mit Ballast, Instrumenten, Anker, Proviant etc. befrachtet und mit dem Ballon verbunden war, konnte Herr Opitz in Begleitung eines Mitgliedes des deutschen Vereins zur Förderung der Luftschifffahrt, eines Ingenieurs Wolff, die Gondel besteigen und das Zeichen zur Abfahrt geben. Mit gewaltigem Auftriebe entriß sich der Ballon den Händen der haltenden Soldaten und wand sich in großen spiralförmigen Windungen dem mit schwarzen Schneewolken bedeckten Firmament zu. Ein SSO=Wind gab dem Ballon zunächst einen NNW=Cours, der ihn über Berlin zwischen den alten Viehhof und Moabit dahin trieb. Die Luftreisenden befanden sich hier in einer Höhe von ca. 3000 Fuß und hatten ein Fallen des Thermometers von 1 Grad auf 3 Grad zu constatiren. Durch Auswerfen von 3 Sack Ballast wurde der Ballon zu einem sofortigen rapiden Steigen veranlaßt, wobei er jedoch nun vom Oberwinde gefaßt und direct nach Süden über den Südwesten Berlins, Schöneberg, Friedenau bis Zehlendorf getrieben wurde. Hier passirten die Luftschiffer in einer Höhe von 6000 Fuß die ersten Schneewolken. Nach der Beschreibung des mitgereisten Herrn Wolff machte es den Eindruck, als wenn sie sich beide im dichtesten Schneegestöber befänden, große Flocken umwirbelten Ballon und Gondel und lagerten sich in dichter Schicht sowohl auf ihre Kleidungsstücke, wie dem Gondelboden, während das ganze Tauwerk sowie der Ballon selbst mit einer dicken Eiskruste überzogen schien. Von der Erde sahen die Reisenden nichts mehr, sie hörten nur ein verworrenes Geräusch, das wie Gemurmel zu ihnen heraufdrang. Es gewährte wiederholt den Anblick, als wenn der Schnee aus der einen Wolke auf eine bereits unter ihnen liegende herabfiel und dort liegen blieb; im Osten war Alles tiefschwarz, während im Westen die untergehende Sonne ihre letzten matten Strahlen warf. Das Thermometer=Quecksilber war auf 5 Grad heruntergesunken, und hatte sich nun das Gas im Ballon derart verdichtet, daß der Ballon plötzlich ohne Ziehen der Ventilleine ganz energisch zu fallen begann. Beim Erreichen der unteren Luftschicht wurden die Reisenden wieder in ihren früheren Cours nach NNW. zurückgedrängt und erreichten so Abends 9 Uhr, nachdem sie mehrere Stunden dicht über der Stadtbahn dahingefahren, bei Henningsdorf an der Lehrter Bahn ohne einen Unfall, aber allerdings steif gefroren, wieder die Erde. Die Entleerung des vollständig mit dicken Eisschlossen bedeckten Ballons nahm längere Zeit in Anspruch, so daß die Aeronauten erst in der Nacht wieder in der "Neuen Welt" anlangten. Die zweite Auffahrt wird am nächsten Sonntag stattfinden.


"Station M.!" riefen die Schaffner die Waggonthüren des von Berlin nach Cöln führenden Zuges aufreißend. Wenige Reisende, Gutsbesitzer aus der Umgegend, wie es schien, eilten auf die bereitstehenden Wagen zu; andere Passagiere benutzten die sechs Minuten Aufenthalt, welche der Schnellzug hier hatte, um durch lebhaftes Hin= und Herschreiten in der Nähe des Zuges wieder mehr Leben und Bewegung in die vom langen Sitzen steif gewordenen Glieder zu bringen. Zu den Letzteren gehörte ein breitschulteriger Mann mit gebräuntem, fest und sicher in die Welt blickendem Antlitz und starkem, braunem Vollbart, dem Anschein nach etwa in der Mitte der dreißiger Jahre stehend. Abweichend von seinen Reisegefährten blieb er bisweilen am Ende des Zuges stehen, um auf die Glockenklänge

[ => Original lesen: 1882 Nr. 29 Seite 6]

zu lauschen, welche von einem nahen Dorfe herübertönten. Hell und klar drangen die Töne durch die reine Morgenluft und auf den Reisenden schienen sie eine besondere Anziehungskraft zu üben, denn als die Schaffner zum Einsteigen riefen, sprang er mit einem Satze in seinen Wagen, holte eine Reisetasche, wie Touristen sie zu tragen pflegen, heraus, hing sie sich um und wanderte rasch entschlossen dem Orte zu, von dessen Kirchthurm das Glockengeläute erschallte. Er schien mit der Gegend sehr vertraut, denn bald schlug er einen schmalen Fußpfad durch den Wald ein, der ihn zu einer kleinen Anhöhe führte, von welcher herab er das Dorf dicht vor sich liegen sah. Noch waren die Obstbäume kahl, die sonst die rothen Ziegeldächer wie mit einem freundlichen Kranze umgaben, aber es war trotzdem ein liebliches Bild, das sich ihm bot. Kein Wölkchen trübte den blauen Himmel und so heiter lachte die Sonne hernieder, als wolle sie überall die schüchternen Knospen mit ihren Strahlen erwärmen, bis sie sich öffneten und verkündeten, daß auch die Natur das Fest der Auferstehung feiere.
Ernsten Blickes schaute der einsame Wanderer herab. "Fünfzehn Jahre", sprach er leise, "fünfzehn Jahre sind vergangen, seit ich meinen Heimathsort zum letzten Mal erblickt! "Wie viel Stürme sind unterdeß über mein Haupt dahingezogen, und hier liegt der kleine Ort so still, so friedlich, wie ich ihn verlassen! Wie so oft in meiner Jugend, stehe ich hier und schaue hinab auf Dich, Du Stätte meiner ersten Freuden, hinab, auch auf Dich, Du rebenumranktes Pfarrhaus, einst meine Heimath, bis ich hinausgestoßen wurde einem Verbrecher gleich, weil ich in jugendlicher Hitze, dem Brauche des studentischen Standes, dem ich angehörte, mich fügend, mit der Klinge in der Hand dem Gegner, der meine Ehre mit Füßen getreten, mich gegenübergestellt und das Unglück gehabt hatte, ihn gefährlicher zu verwunden, als ich gewollt. Er, der Beleidiger, war nach wenigen Monaten geheilt und ich - ein Heimathloser, der drüben über dem Weltmeer mühsam sein Brod verdienen mußte, in ungewohnter Arbeit Bitterkeit und Haß gegen Die, welche mir einst die Liebsten gewesen waren, im Herzen! - Nicht wieder betreten mag ich die Schwelle, von der man mich einst hinausgestoßen, aus der mein Vater stand, wie ein zürnender Hoherpriester des alten Testaments, nicht wie ein Diener des Gottes der Liebe! Doch in die Kirche will ich gehen, von weitem will ich sie sehen, die ich einst die Meinen nannte, den Vater auf der Kanzel, die Mutter, die Schwester fromm in den Betstuhl geschmiegt!"
"Ihr Armen!" fuhr er, zum Thal hinab schreitend, fort, "die Ihr unter dem eisernen Regimente, das mein Vater führte, nicht wagen durftet, für mich zu bitten, so gern Ihr das gethan hättet, wie Eure heißen Thränen das bezeugten! Nicht einmal mir schreiben durftet Ihr, nicht meine Briefe annehmen! Ich sollte einmal der verlorene Sohn sein, der erst büßen mußte, ehe er wieder aufgenommen werden konnte in die Gemeinschaft der Frommen. Nun, wohl habe ich gebüßt, aber ich bin auch zum Manne geworden, das Glück war mir günstig. Wäre es anders gewesen, so säße ich vielleicht jetzt irgendwo auf einer Pfarrstelle mit einem Gehalt, das gerade ausreicht für die nothwendigsten Bedürfnisse des Lebens, statt daß ich jetzt Compagnon eines der angesehensten Handelshäuser von Newyork bin! Und trotz alledem, Max Breitenau, bist Du noch ein echter Deutscher! Denn deutsche Sentimentalität gehört dazu, um urplötzlich des Klanges der Osterglocken vom Kirchthurm der Heimath wegen die Rückreise zu unterbrechen und hierher zu pilgern!
Unter derlei Reflexionen war er bis an das Portal der Kirche gekommen. Fast zögernd trat er ein. Aber war das sein Vater, der dort auf der Kanzel stand? Diese gebeugte Gestalt mit dem weißen Haar, den kummervollen Zügen, von dessen Munde Worte der Liebe flossen, wie er sie nie zuvor von ihm gehört? Mit wunderbarer Gewalt ergriff es den Fremden, der am Eingang, hinter einem Pfeiler stehend, den ungewohnten weichen Tönen lauschte. "Liebet ihn, wie er Euch geliebet hat", klang es von der Kanzel her. "Aber wenn jenes das erste Gebot ist, das der Herr uns gegeben hat, so hat er demselben ein zweites gleichgestellt: "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst." Und wer ist Dein Nächster? Nicht derjenige, der Dir durch Verwandtschaft und Freundschaft nahe steht, Dein Nächster ist, der Deiner bedarf. Doch auch der Liebe zu den Verwandten sollen wir vor allem gedenken, nie Vergessen die Mahnung des Dichters:
          "O lieb' so lang Du lieben kannst,
          O lieb' so lang Du lieben magst,
          Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
          Wo Du an Gräbern stehst und klagst!"
Den Mann hinter dem Pfeiler durchschauerte es seltsam. Nicht die Gattin, nicht die Tochter konnte der Greis auf der Kanzel gemeint haben, denn Beide saßen im alten, wohlbekannten, bequemen, geschnitzten Betstuhl der Pastorenfamilie, hinter ihnen ein Mann in mittleren Jahren, dem man den Oekonomen auf den ersten Blick ansah und der wohl die Tochter des Hauses als Gattin heimgeführt hatte; Niemand konnte der Familie als ein Todter gelten, nur Max selbst. Und war das anders möglich? Verschollen mußte er sein für die Familie, denn als alle seine Briefe an Vater, Mutter und Schwester mit dem in den festen, starren Schriftzügen des Vaters geschriebenen Vermerk der Annahmeverweigerung zurückkamen, hatte er nicht mehr dafür gesorgt, daß eine spätere Nachricht aus der Heimath ihn erreichen könne, sondern war weiter gezogen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Und doch - des Menschenherz ist ein trotzig und verzagt Ding - die Schwelle des Vaterhauses wollte Max trotz der sichtbaren Umwandlung, die sein Vater erfahren hatte, trotz der Rührung, die sich wider seinen Willen sein Herz beschlichen hatte, nicht betreten, aber ein dunkler Drang trieb ihn, aus der Nähe Vater und Mutter zu sehen und so stellte er sich, als der Gottesdienst sein Ende erreicht hatte, hinter einen Baum, der nicht weit vom Wege stand, den Jene zurücklegen mußten, um nach Hause zu gelangen.
Ahnungslos schritten sie an der Stelle vorüber, an welcher er mit lautpochendem Herzen stand und tief aufseufzend trat er hervor den breitrandigen Hut abnehmend und sich den Schweiß von der Stirn wischend - da wollte es der Zufall, daß ein kleines Bauernmädchen gesprungen kam, der Frau Pastorin das in der Kirche vergessene Taschentuch nachzubringen und schon von weitem "Frau Pastorin!" rief. Sie drehte sich um, ihr Blick fiel auf den Mann am Baum; starr, mit weitgeöffneten Augen blickte sie eine Sekunde lang in sein gebräuntes Antlitz und mit dem Rufe: "Max, mein Max!" stürzte sie ihm entgegen und sank an seine Brust. Langsam folgte ihr der Vater, aber auch er breitete die Arme weit aus, während Thränen der Freude seine gefurchten Wangen herabliefen und mit bebender Stimme sprach er: "Gott segne Dich, mein Sohn, mein lieber, lieber Sohn!"
Brauchen wir noch zu sagen, daß Max sich nicht länger weigerte, die Schwelle des Vaterhauses zu betreten? Daß zwischen dem Vater, der seine Härte und dem Sohne, der seinen Trotz tief bereute, eine vollständige Aussöhnung stattfand? Daß die mittlerweile auch angekommene Schwester mit ihrem Gatten, einem Jugendfreund des verschollenen Sohnes, sich von ganzem Herzen freuten, den so lange Entbehrten wiederzusehen? - Eins nur wollen wir noch hinzufügen: Max verkaufte seinen Antheil in dem Geschäft in New=York und kaufte sich dafür ein Gut in der Nähe des Wohnorts seines Vaters, auf welchem auch Dieser seinen Lebensabend zubrachte, Dessen sich freuend, den er einst den "verlorenen Sohn" genannt hatte. Keines aller Feste aber, selbst das schöne Weihnachtsfest nicht, wurde im Hause des Gutsbesitzers so festlich begangen, als das Osterfest, denn der Klang der Osterglocken hatte ihn zurückgeführt in die lang entbehrte Heimath, zu Glück und innerem Frieden!


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ZVDD