[ => Original lesen: 1884 Nr. 96 Seite 1]Anzeigen.
Oeffentliche Zustellung.
Die Firma W. Prilloff zu Lübeck, vertreten durch den Rechtsanwalt Lauenburg zu Gadebusch klagt gegen den Büdner F. Dettmann zu Woitendorf, angeblich zuletzt in Meteln bei Schwerin wohnhaft, jetzt unbekannten Aufenthalts, wegen Forderung mit dem Antrage den Beklagten zur Zahlung von 300 Mark nebst 4 % Zinsen seit Antoni 1883 bis zu Johannis 1883 und 5 % Verzugszinsen seit Johannis 1883 zu verurtheilen und das Urtheil für vorläufig vollstreckbar zu erklären und ladet den Beklagten zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits vor das Großherzogliche Amtsgericht zu Schönberg auf
Dienstag, den 6. Februar 1885,
Vormittags 11 Uhr.
Zum Zwecke der öffentlichen Zustellung wird dieser Auszug der Klage bekannt gemacht.
W. Wetzel, Protocollführer,
als Gerichtsschreiber des Großherzogl. Amtsgerichts.
Kampf= genossen- |
|
Verein 1870/71. |
Zur Bildung einer Sanitäts=Colonne im Dienste des Rothen Kreuzes haben sich bereits vierzehn Kameraden gemeldet. Wer sonst noch gewillt ist sich diesem patriotischen Werke zu widmen, wird gebeten, sich bis zum 1sten Januar 1885 bei mir oder dem Schriftführer Röpstorff zu melden. Die Meldung bindet zunächst nur für das nächste Jahr.
Zur weiteren Auskunft bin ich jederzeit gern bereit.
Der Vorsitzende.
Dr. M. Marung.
Allgem. Gesellen=Krankenkasse.
Wir setzen hierdurch die Mitglieder davon in Kenntniß, daß die allgemeine Gesellen=Krankenkasse der neu in Kraft tretenden Reichskrankenkasse wegen nur bis zum Schluß dieses Jahres fortbesteht.
Die bis zum genannten Zeitpunkte nicht eingezahlten restierenden Beiträge werden sodann executivisch eingefordert.
Schönberg d. 4. December 1884.
Der Vorstand
Bei der am Montag, den 1. December d. J. stattgehabten Verloosung von 8 Antheilscheinen zum Schützenhause wurden folgende Nummern gezogen:
424. 272. 67. 310. 170. 218. 134. 404.
Schönberg, den 2 December 1884.
Der Vorstand der Schützenzunft.
Die Mitglieder des hiesigen
Imkervereins
werden um baldige Einsendung der Zählkarten ersucht.
J. Wegner.
Geflügel=Verein.
Montag, den 8. December, Abends 8 Uhr: Versammlung. Um zahlreichen Besuch wird gebeten.
Der Vorstand.
Zu einer Weihnachtsbescheerung für arme Kinder erbitten wir freundliche Gaben aus der Gemeinde und ersuchen solche gütigst bis zum 18. d. M. uns zukommen zu lassen.
Schönberg, den 9. December 1884.
Kaempffer. Langbein.
Schlittschuhe!
Größte Auswahl. Neueste Erfindung.
practisch und bequem!
nur von Stahl empfiehlt billigst
C. Schwedt.
Empfehle!
Ascheimer, Kohlenhelme, Ofenvorsetzer, Feuergeräth, Plätteisen, Plätttöpfe und Krollscheeren,
ferner meine
übersichtlichen Läger
mit allen möglichen Eisen= und Kurzwaaren, in reichlicher schön sortirter Auswahl
C. Schwedt.
Große Weihnachts=Ausstellung
von Spielsachen in allen möglichen Sorten zu den billigsten Preisen empfiehlt
H. Brüchmann.
Directe
Post=Dampfschiffahrt
Hamburg-Amerika
Nach New-York jeden
Mittwoch u. Sonntag
mit Deutschen Dampfschiffen der
Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft
• August Bolten, Hamburg.
Auskunft u. Ueberfahrts=Verträge bei:
Fr. Frick u. J. F. Schultz in Röbel.
Sonnabend, den 6. d., Abends:
Anstich von Spatenbräu.
W. Wieschendorf.
[ => Original lesen: 1884 Nr. 96 Seite 2]Stadttheater in Lübeck.
Sonnabend, den 6. Dezember 1884:
Vierte Nachmittags=Vorstellung für Lübeck und Umgegend.
Bei bedeutend ermäßigten Preisen.
Wallenstein Trilogie.
Zweiter Theil:
Wallensteins Tod.
Trauerspiel in 6 Acten von Fr. v. Schiller.
Ermäßigte Preise:
1. Rang M. 2,50. |
|
Parterre M. -,75. |
Parquet M. 2,-- |
|
3. Rang M. -,50. |
2. Rang M. 1,--. |
|
Gallerie M. 0,40. |
Dem p. t. Publikum zur gef. Kenntnisnahme, daß bei Entnahme von 30 Fahrkarten die Eisenbahndirektion nur den halben Fahrpreis berechnet.
Die Direction.
Mecklenburgische Bank in Schwerin i. M.
Status pro ult. November 1884.
[Tabelle siehe im Abbild der Originalseite]
Die Agentur der Mecklenburgischen Bank,
für
Schönberg und Umgegend,
vertreten durch den Unterzeichneten ist bevollmächtigt und bereit zur directen Vermittlung aller der Mecklenburgischen Bank in Schwerin zu offerirenden Geschäfte:
Entgegennahme u. Rückzahlung von Spar- und Capital-Einlagen gegen Sparbücher, Schuldverschreibungen und Baar-Conto-Corrent.
Bewilligung von Darlehen und Crediten gegen Sicherheit; Discontirung von Wechseln und gekündigter oder ausgelooster Werthpapiere;
Verkauf von Tratten auf das europäische und aussereuropäische Ausland; insbesondere auf Amerika.
An- und Verkauf von Staatspapieren und Börseneffecten.
Die Bedingungen für alle Geschäftszweige der Bank in einem Promemoria ausführlich zusammengestellt, sind kosten- und portofrei von mir oder von der Bank direct zu beziehen.
Schönberg i. M. Wilh. Schrep.
Englisches Salz
empfiehlt
J. Ludw. D. Petersen.
Reiner Colonial=Zuckersirup
Succade, candirte und trockene Pommeranzenschalen, gereinigte Pottasche auch sämmtliche Gewürze in bester Qualität empfiehlt
J. Ludw. D. Petersen.
Gelbe Kocherbsen
empfiehlt
J. Ludw. D. Petersen.
Schlittschuhe
empfiehlt
J. Ludw. D. Petersen.
Sehr schönen Zuckersyrup,
sowie sämmtliche Artikel zur Kuchenbäckerei empfiehlt in nur guter Waare
Gustav Mohr.
Feinsten Engl. Sirup,
sowie sämmtliche Artikel zur Festbäckerei empfiehlt in bester Waare billigst
A. Zander.
Täglich frisch gebrannten
Dampfcaffee,
in nur reinschmeckender Waare empfiehlt
Gustav Mohr.
Feinsten Colonialsirub,
süße und bittere Sicilmandeln,
beste Eleme=Rosinen und Corinthen,
sämmtliche Gewürze ganz und gemahlen,
Ia. Succade und candirte Orangenschalen,
sowie
ff. Puderzucker, garantirt aus Broden gemahlen,
Raffinade und Melis
empfiehlt zu billigsten Preisen
Aug. Spehr.
Traubrosinen und Krachmandeln,
Sicilianische Haselnüsse,
franz. Wallnüsse,
Malaga= und Smyrna=Feigen,
Datteln
empfiehlt billigstens
Aug. Spehr.
Besten Engl. Syrup,
sowie sämmtliche Gewürze empfiehlt in bester Waare
A. Wigger Nachfolger.
Englisches Salz
empfiehlt
A. Wigger Nachfolger.
[ => Original lesen: 1884 Nr. 96 Seite 3]Zum ersten Male hier zu sehen.
Ausstellung einer
kunstreichen Uhr.
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Diese merkwürdige Uhr ist am 4., 5., 6., 7. und 8. d. M. in dem Saale der Wittwe Köster im hiesigen Orte zu Jedermanns Ansicht ausgestellt.
Diese Kunstuhr ist das neueste, schönste und kunstreichste Uhrwerk, welches bisher bekannt. Dieselbe nimmt einen Raum ein von 200 Kubikfuß und wiegt 15 Centner. Sie zeigt an die Secunden, Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Monate und schreibt von selbst mit jedem neuen Jahre eine andere Jahreszahl und alle 4 Jahre eine neue Schaltjahrszahl. Die Zahl 1 ist die erste und die Zahl 9999 die letzte Jahreszahl, welche die Uhr zu schreiben im Stande ist. Als Schaltjahrszahl ist die Zahl 4 die erste und die Zahl 9996 die letzte. Demnach zeigt diese Uhr alles Obengenannte richtig an, bis das Jahr 10,000 erfolgt ist. Dann erst muß der Mechanismus verändert werden. Ferner sind an dieser Uhr 122 verschiedene Figuren, durchgehends von 1/2 Fuß Höhe, angebracht, welche sich zu verschiedenen Zeiten bewegen, wodurch sie das menschliche Leben und die Zeiten versinnbildlichen, wie zum Beispiel:
1. Der Viertelschläger.
Er zeigt bei jeder 15. Minute das betreffende Viertel der Stunde mit dem Hammer an die Glocke an.
2. Der Genius.
Er zeigt an einer sich umdrehenden Scheibe stets das richtig geschlagene Viertel an.
3. Die vier Menschenalter,
Kind, Jüngling, Mann und Greis. Bei dem 1. Viertel erscheint das Kind. Es bleibt 15 Minuten sichtbar, worauf es verschwindet und der Jüngling hervorkommt. Ebenso erscheint bei dem 3. Viertel der Mann und beim 4. der Greis.
4. Der Tod.
Diese Figur, förmlich den Tod vorstellend, schlägt nach dem Erscheinen des Greises die volle Stunde aus.
5. Der Schutzengel.
Er beschützt das Kind, den Jüngling und den Mann vor dem Ausschlagen des Todes in sinnbildlicher Beziehung.
6. Die zwölf Apostel,
deren bei jedem Stundenschlag einer hervortritt, bis bei der 12. Stunde alle 12 nach einander erscheinen.
7. Eine Figur, Christus
vorstellend, welche bei dem Vorüberziehen der Apostel jeden Einzelnen mit beiden Händen einmal segnet.
8. Der mechanisch krähende Hahn,
welcher beim Erscheinen des Apostels Petrus, die Flügel schlagend, dreimal kräht.
9. Der Glöckner und der Greis.
Des Morgens, Mittags und Abends läutet der Glöckner die Betglocke, wobei der Greis mit gefalteten Händen auf die Knie sinkt.
10. Die große Musikuhr,
welche durch eine Figur, einen Italiener vorstellend, alle 6 Stunden in Bewegung gesetzt wird und 16 laute, kräftige Stücke spielt.
11. Die 7 heidnischen Götzenbildnisse,
deren je eins um 12 Uhr Mitternachts erscheint und 24 Stunden lang den betreffenden Tag vorstellt, weil von diesen Bildnissen die Namen der Wochentage abstammen.
12. Die zwölf himmlischen Zeichen,
als da sind: Widder, Stier, Zwillinge, Krebs u. s. w., von welchem mit jedem neuen Monat eines erscheint und erst im folgenden Monat verschwindet.
13. Die vier Jahreszeiten,
Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Am 21. März des Nachts um 12 erscheint der Frühling als Gärtner mit einem Spaten und einem Blumenstrauß. Er bleibt sichtbar bis zum 22. Juni, dann kommt der Sommer als Landmann mit der Sense und Rechen. Auf dieselbe Weise kommt am 21. September der Herbst als Winzer mit Traube und Weinkorb und am 21. December der Mann mit dem Pelzmantel.
14. Die vier Kirchenjahreszeiten.
Am 21. März die Auferstehung Christi oder das Osterfest am 21. Juni die Sendung des hl. Geistes oder das Pfingstfest, am 21. September das jüngste Gericht oder Allerheiligen und am 25. December die Geburt Christi oder das Weihnachtsfest.
15. Das ganze Leiden Christi,
in 14 Bildnissen dargestellt. Von denen mit jedem neuen Tage bei dem Schlage 12 des Mittags abwechselnd 2 andere erscheinen.
Auch ist an dieser Uhr die Umdrehung der Erd= und Mondkugel angebracht. Die Mondkugel dreht sich alle 12 Monate 13 mal um die Erde, wodurch sie stets aufs Genauste die verschiedensten Lichtgestalten des Mondes hervorbringt; die Erdkugel dreht sich alle 24 Stunden einmal um sich selbst, wodurch man mit Bestimmtheit die richtige Tageszeit um den ganzen Erdball herum angeben kann. Und in einem Jahre dreht sich die Erdkugel in einer eliptischen Form einmal um die Sonne, woraus die 4 Jahreszeiten entstehen. Diese Kunstuhr zählt 265 Räder ohne alle Getriebe, geht durch einen Perpendikel und 12 Gewichte, von welchen auf 5 Fuß Fall das erste nach 8 Tagen und das 12 nach 1000 Jahren einmal aufgezogen wird.
Sämmtlich Beweise über die obige Eigenschaften der Uhr werden geehrten Besuchern geliefert und alle Bewegungen genau erklärt. Diese Kunstuhr wurde nach dreijähriger mühevoller Arbeit am 1. October 1874 vollendet.
Die Erklärungen finden statt: Nachmittags um 3 Uhr, um 5 Uhr und um 8 Uhr.
Die Eintrittspreise sind: 1. Platz zum Sitzen 50 . 2. Platz zum Sitzen 40 ., zum Stehen 30 ., Kinder zahlen die Hälfte. Es wird höflichst ersucht, Kinder, die auf dem Arme getragen werden müssen, nicht mitzubringen.
Es ladet zu zahlreichem Besuch hochachtungsvoll ein
der Erfinder und Verfertiger
Wilhelm Martin, Uhrmacher aus Coblenz.
[ => Original lesen: 1884 Nr. 96 Seite 4]Meine
Weihnachts-Ausstellung
in den neuen, großen Räumen ist eröffnet, und bitte freundlichst, dieselbe anzusehen.
Lübeck, Heinr. Pagels
Breitestr. 945 b. Markt. Magazin für Haus= u. Küchengeräthe.
Großer
Weihnachts-Ausverkauf.
Mit dem heutigen Tage eröffnen wir einen großen Weihnachtsausverkauf. Um einen recht großen Umsatz zu erzielen, haben wir die Preise äußerst billig gestellt, einzelne Partien geben dem geehrten Publikum Gelegenheit, reelle, gute Waare vorteilhaft zu kaufen und bitten wir ergebenst, sich davon zu überzeugen. Auf nachstehende Artikel erlauben wir uns besonders aufmerksam zu machen.
Einen großen Posten Kleiderstoffe in hellen und dunklen Farben, einen großen Posten Stoffe und Buckskins zu Anzügen und Paletots. Eine große Partie schwarze reinwollne doppelbreite Cachemires. Eine Partie schwerer Zwirn= und engl. Tüll=Gardinen. Eine Partie schwerer Bettdrelle, Bettparchende, Bettstoutse u. Bührenzeuge. Eine Partie weiße Leinen, Hemdentuche, Gedecke und Handtücher. Wintermäntel noch in großer schöner Auswahl von heute ab zu bedeutend herabgesetzten Preisen.
Gebrüder Burchard.
Am Sonntag d. 7. d. M.
Concert (Streichmusik)
im Boye'schen Lokale
Anfang Abends 8 Uhr
Entree à Person 50
Familienbillet à 1,00 M.
Nach dem Concert
Ball.
Um recht zahlreichen Besuch eines geehrten hiesigen, sowie auswärtigen Publikums bitten ergebenst
Die Vereinsmusiker.
Schönberg i/M. d. 1. December 1884.
Auf dem Wege von Kl. Bünsdorf nach Ziethen sind v. W. 2 Pferdedecken verloren worden. Der ehrliche Finder wolle dieselben abliefern bei Herrn Kaufmann Burmeister-Schönberg.
Sämmtliche Colonialwaaren
empfiehlt in bekannter Güte und zu den billigsten Preisen
Gustav Mohr.
Kirchliche Nachrichten.
Sonntag, den 7. December.
Vormittagskirche: Pastor Langbein.
Abendkirche (6 Uhr:) Pastor Kaempffer.
Amtswoche: Pastor Langbein.
Getreide=Preise in Lübeck.
[Tabelle siehe im Abbild der Originalseite]
Markt=Preise in Lübeck.
[Tabelle siehe im Abbild der Originalseite]
"Der heutigen Nummer unserer Gesammtauflage liegt ein Prospect des
Bankhauses A. Wolfsberg
in Hamburg bei, worauf wir unsere verehrlichen Leser besonders aufmerksam machen."
Hierzu eine Beilage.
Redigirt, gedruckt und verlegt von L. Bicker in Schönberg.
[ => Original lesen: 1884 Nr. 96 Seite 5]Beilage
zu Nr. 96 der Wöchentlichen Anzeigen für das Fürstentum Ratzeburg.
Schönberg, den 5. December 1884.
Die ersten Sitzungen des Reichstages haben allgemein das Gefühl hinterlassen, daß wir sehr leidenschaftlichen Kämpfen entgegengehen. Es ist offenbar ungeheuer viel Zündstoff vorhanden, der nur eines Funkens bedarf um zu explodiren. Der Reichskanzler scheint in kampflustiger und durchaus nicht nachgiebiger Stimmung zu sein, und auf der anderen Seite ist es unverkennbar, daß die freisinnig=ultramontane Mehrheit vor Eifer brennt, Beweise ihrer Existenz und ihrer Beherrschung der parlamentarischen Lage abzulegen. An der Stelle der konservativ=klerikalen Mehrheit ist offenbar die oppositionelle Mehrheit getreten; das Zusammengehen bei den Wahlen wird praktisch. Der Reichskanzler hat sich in seiner drastischen Art freilich übertriebener Ausdrücke bedient, als er die ganze deutsch=freisinnige und clerikale Seite des Reichstages zu grundsätzlichen Gegnern des Reiches und der kaiserlichen Politik stempelte, allein das war aus seinen bitteren Angriffen mit Sicherheit zu entnehmen, daß er sich einer überlegenen Opposition gegen seine Politik gegenüber zu sehen glaubt trotz des Anwachsens der conservativen Seite in noch höherem Grade, weil eben das Centrum in offenbarer Kampfesstellung auftritt, seiner beherrschenden parlamentarischen Stellung sich bis zum Uebermuthe bewußt und seiner regierungsfreundlichen Anwandlungen ebenso überdrüssig ist, wie die Regierung des Versuchs, sich fernerhin auf diese Partei zu stützen. Bei solcher Sachlage und Stimmung konnte Herr Rickert den allgemeinen Eindruck ganz treffend dahin zusammenfassen, diesem Reichstage sei kein natürliches Ende beschieden. Die Drohung der Auflösung hat freilich fast unausgesetzt auch über dem verflossenen Reichstage geschwebt und doch ist er eines natürlichen Todes gestorben und hat schließlich noch mehr geleistet als irgend Jemand von ihm hatte hoffen können. Es ist ja wohl möglich, daß sich auch der gegenwärtig Reichstag, wenn einmal die Aufregung der Wahlbewegung sich erst etwas gelegt hat, in der Arbeit besser bewährt, als es jetzt den Anschein hat. Sehr kritischen Entscheidungen aber wird er auf alle Fälle entgegengehen und niemand wird sich des Eindrucks erwehren können, daß der Reichskanzler jede günstige Gelegenheit erspähen wird, um nochmals an die Wählerschaft zu appelliren. Die colonialen, die militärischen, die sozialpolitischen Fragen vielleicht auch die Frage der Behandlung der sozialdemokratischen Bewegung könnten sich leicht zu solchen kritischen Wendepunkten gestalten.
Das Defizit von 40-41 Millionen im Reichshaushalte muß zum Theil durch höhere Matricularbeiträge der Einzelstaaten gedeckt werden und hoffentlich ist dies möglich ohne höhere Steuern. Die Redner aller Parteien erkennen die Nothwendigkeit größter Sparsamkeit - im Militär, in der Marine, in den Bauten des Staates, nur das absolut Nothwendige dürfe bewilligt werden. Bebel will vor allem an dem Militär gespart haben, er rügt die zahlreichen Pensionirungen von Offizieren, verlangt 2jährige Dienstzeit und behauptet, die Offiziere seien von allen Staats= und Communalsteuern befreit. Der Kriegsminister v. Schellendorff entgegnete, der Offizier werde nur verabschiedet, wenn er absolut unbrauchbar sei für den Militärdienst, die Offiziere zahlten alle direkten und indirekten Staatssteuern und seien nur von der Communalsteuer befreit. Weder die Regierung will neue Steuern vorschlagen, noch der Reichstag, die erstere, weil sie seither schlechte Erfahrungen gemacht habe, der letztere, weil es nicht seine Sache sei. Ueber das Einzelne muß man die Budget=Verhandlungen abwarten.
Die Hauptsorge für alle Parteien im Reichstag ist die Frage, wie das Defizit zu beseitigen ist, nicht nur für ein Jahr, sondern dauernd, wie's gemacht werden kann, daß das Reich nicht der Kostgänger der Einzelstaaten ist, sondern die Staaten die Kostgänger des Reichs. Stichwort ist, vorläufig nicht das, was nützlich, sondern nur das, was unbedingt nothwendig ist, zu bewilligen. Ohne irgend welche neue Steuern wird's nicht abgehen. Die Rechten schlagen Börsensteuer und Erhöhung des Getreidezolles vor, die Linken Spiritus= oder Branntweinsteuer an der Quelle, da an den Zucker jetzt nicht gerührt werden darf. Das Centrum schweigt sich vorläufig aus. Die Hauptkämpfe werden in der Budget=Commission stattfinden.
Im Reichstage wurde in erster Lesung über Postdampferverbindung mit überseeischen Ländern verhandelt. Es war nur ein Vorpostengefecht, die Hauptschlacht wird in einer 21köpfigen Commission geliefert. Die Vorlage ist, wie von der Opposition anerkannt wurde, bedeutend verbessert. Die Stimmung hat sich zwar gebessert, aber die Opposition stößt sich am Defizit.
Retten wir rasch noch einige mehr oder weniger geflügelte Worte aus dem Reichstage, namentlich da sie schwerlich in Büchmanns berühmtes Werk kommen. Rickert: Der Reichstag wird schwerlich eines natürlichen Todes sterben. Das Urtheil des Kanzlers über den Reichstag entbehrt der gebotenen Rücksicht auf die Volksvertretung. Der Kanzler kann keinen Widerspruch vertragen. Bismarck: Wenn ich keinen Widerspruch vertragen könnte, wäre ich längst todt. Und wenn ich mich in meiner Laufbahn jedem Mehrheitsbeschlusse der Reichstage und Kammern (1862-1866) hätte fügen wollen, wohin wären wir gekommen? Eine Monarchie ist nur diejenige, in welcher der Monarch das Veto hat und auch das Parlament. Sie hört auf, diesen Namen zu verdienen, wenn der Monarch durch die Mehrheit des Parlaments gezwungen werden kann, seine Minister zu entlassen. Was die Diäten betrifft, so halte ich die Diätenlosigkeit solidarisch verbunden mit dem allgemeinen directen gleichen Wahlrecht. Es gibt Conzessionen, gegen welche die Regierungen Diäten zugestehen werden. Bis jetzt hat es auch ohne Diäten nicht an Bewerbern für den Reichstag gefehlt, es war eher ein übermäßiger Andrang.
Die höchsten Beamten des Reiches sind folgendermaßen gestellt: Der Reichskanzler bezieht 54 000 Mk., einschließlich 18 000 Mk. Repräsentationskosten nebst freier Wohnung; Graf Hatzfeld, Staatssecretär des Auswärtigen, einschließlich 14 000 Mk. Repräsentationskosten nebst freier Wohnung 50 000 Mk., Staatssecretär v. Bötticher ist mit 36 000 Mk. und freier Dienstwohnung ausgestattet, der Staatssecretär des Reichsjustizamtes, Dr. v. Schelling, bezieht 24 000 Mk. außer freier Dienstwohnung, der Staatssecretär des Reichsschatzamtes, v. Burchard, 20 000 Mk. bei freier Wohnung, der Staatssecretär Dr. Stephan 24 000 Mk. bei freier Wohnung. Der Kriegsminister Bronsart v. Schellendorf erhält eine Besoldung von 36 000 Mk., außerdem freie Dienstwohnung mit Mobiliarausstattung und Feuerungsmaterial, sowie acht Fourage=Rationen. Ebenso stellt sich die Besoldung für den Chef der Admiralität v. Caprivi, welcher gleichfalls neben seinem Gehalt von 36 000 Mk. freie Dienstwohnung hat. Der Chef des Generalstabs der Armee, Generalfeldmarschall Graf v. Moltke, ist im Etat mit 12 000 Mk. Gehalt und 18 000 Mk. Dienstzulage, ferner freier Dienstwohnung mit Mobiliarausstattung und Servis, sowie sechs Fourage=Rationen aufgeführt. Auch die 14 commandirenden Generale sind mit je 12 000 Mk. Gehalt und 18 000 Mk. Dienstzulage (aus welcher auch die Kosten für Bureaubedürfnisse zu bestreiten sind) verzeichnet.
Die patriotische Feier auf dem Niederwalde zur Einweihung der Germania ist noch in Aller Erinnerung. Damals hatte eine Mordbande Anstalten getroffen, den Festzug, an welchen der Kaiser, der Kronprinz, der König von Sachsen, die Feldherrn des Krieges von 1870 und viele hervorragende Männer Theil nahmen, mit Dynamit in die Luft zu sprengen. Der Versuch mißlang. Am 15. December d. J. wird der Anstifter Reinsdorf aus Plegau, ein Anarchist, sammt den betheiligten Genossen vor dem Reichsgericht in Leipzig prozessirt. Die Anklage lautet auf Anstiftung zum Hochverrath, Mordversuch und Brandstiftung. Der Prozeß wird acht Tage dauern.
Der Sultan will die allgemeine Wehrpflicht einführen. Bekanntlich ist aber der Schritt vom Wollen zum Vollbringen bei den Türken noch größer als bei den besten Christen.
[ => Original lesen: 1884 Nr. 96 Seite 6]Nicht Ein Blatt seines Lorbeerkranzes werde dem Amerikaner Stanley, dem "Bismarck Afrikas," verkümmert, noch weniger aber sei der vielen deutschen Mitarbeiter an der Aufschließung des "schwarzen Erdtheils" vergessen. Es sind Adalbert v. Barnim, Heinrich Barth, Beurmann, Buchholz, Burkhardt, v. d. Decken, Fritsch, Güßfeld, v. Hanier, Hartmann, Heuglin, Hornemann, Hühner, Kinzelbach, Leiden, v. Maltzan, Mauch, Mohr, Nachtigall, Reichenow, Roscher, Rolfs, Schweinfurt, Seegen, Stendner, Vogel, Wolf u. A. Auch sie haben auf vieljährigen Entdeckungsreisen in Afrika ihr Leben in die Schanze geschlagen und mancher von ihnen hat es verloren.
- Der Herzog von Braunschweig hat in seinem Testament mancherlei vergessen, z. B. auch einen eisernen Schrank in seinem Schloß Hietzing bei Wien. In diesem Schrank fanden die Gerichtsbeamten, als sie das Inventar aufnahmen 40 000 Stück Ducaten, anderes, Gold und Silber und werthvolle englische, österreichische etc. Papiere, zusammen etwas über eine Million Gulden. Der Herzog von Cumberland ist der Erbe des Schlosses und des Schrankes.
- Ein Arzt an der Universität in Wien berichtet über eine sehr gelungene Operation mit dem Cocain, dem neuen Betäubungsmittel. "Ein 20 jähriges Bauernmädchen hatte beim Essen von Kraut einen Knochen mit verschluckt. Der Knoten war im Sinus Morgagni festgekeilt, die Glottis so abschließend, daß nur nach rückwärts ein paar Millimeter großer Raum für den Durchschritt der Luft freiblieb. Hochgradige Athemnoth und, da sich die Zacken des Knochens bei jeder Schlingbewegung in die Larynxwand einbohrten, beträchtliche Schlingbeschwerden waren die Folge. "Die Operation nach der neuen Methode verlief sehr befriedigend." Der Arzt fügt aber selbst hinzu: "Bei dem Mädchen hätte ich den Knochen sofort entfernen können, wenn es mir nicht darum zu thun gewesen wäre, die Operation erst am nächsten Morgen (Mittags vorher war das Mädchen in die Klinik gebracht worden) vor dem Auditorium vorzunehmen." - Also eine lange, qualvolle Nacht mußte die Kranke mit dem Ersticken kämpfen, bevor der Operateur sich ihrer erbarmte. Nicht der Schmerz eines geängstigten Menschenkindes, sondern das Auditorium war es, dem die Rücksicht gebührte! Wie grausam kann die Wissenschaft sein. Und was - darf man hinzufügen - mag oft an Thieren gesündigt werden, wenn so die Menschen für's Auditorium kaltgestellt werden!
- Ein Frankfurter Handlungshaus hatte 24 000 M. nach Straßburg geschickt, aber nur 600 M. declarirt. Der betr. Postwagen geriet bei Bietigheim in Brand und das Packet verbrannte. Dem Hause werden nur die 600 M. vergütet.
- Die Reichsbank in Berlin hat neue Noten zu 100 und 1000 Mark ausgegeben, die den Vorzug haben, sich zu Weihnachtsgeschenken ausgezeichnet zu eignen.
- Manteufel in Straßburg hat den seidenen Handschuh (endlich sagen Viele dort) ausgezogen und drei Zeitungen auf einmal verboten, die "Union", das "Echo" und das "Odilienblatt".
- Eine eigenthümliche Fabrik ist in Halberstadt entstanden. Sie besteht aus schriftlichen Schularbeiten; die Kunden sind die Primaner und Secundaner höherer Lehranstalten, an welche der findige Unternehmer seinen Preis=Courant auf offenen Postkarten versendet. Er erbietet sich, in jeder auch der kürzesten Frist dem betreffenden Gymnasiasten und seinen Collegen deutsche und lateinische Aufsätze - über jedes Thema können 10 bis 12 Ausarbeitungen geschickt werden - das Stück für 3 Mark 20 Pf. zu liefern. Der Betrag sei bei der Bestellung in Briefmarken einzusenden; die 20 Pf. seien für das Porto bestimmt, "da Arbeiten für Primaner eingehender gemacht werden müßten und dabei 15 Gramm übersteigen". Auch "Maturitätsprüfungen" empfiehlt das Haus, merkwürdigerweise aber zu billigerem Preise, nämlich zu 2 Mark 50 Pf. mit der tröstlichen Versicherung: "Ich habe in Wahrheit schon manchem Abiturienten segenbringende Arbeiten besorgt". Die ausgebrochene Vermuthung, daß es sich bei diesem Geschäft weniger um die Absichten brauchbarer Arbeitsleistung, als um eine Plünderung ohne alle Umstände handelt, bestätigt sich vollständig. Der Inhaber dieses Geschäftes ist ein früherer Oberrealschüler, der wegen abgesandter Bettelbriefe schon mehrfach bestraft und gegen welchen nun das Verfahren wegen Betrugs eingetreten ist.
- Man mag den amerikanischen Millionären nachsagen, was man will, Eins muß man ihnen lassen, sie haben Gemeinsinn. Trifft da Vanderbilt neulich einen verkrüppelten Knaben auf der Straße. Auf sein Befragen nach der Ursache erwidert der Kleine, er sei überfahren und dann in der Klinik, Hochschule für Mediciner und Wundärzte genannt, geheilt worden. In demselben Augenblick kommt auch der Director dieser "Hochschule" daher. Vanderbilt befragt ihn über den Fall und spricht seine Verwunderung über die mangelhafte Heilung des Knaben aus. Der Director gibt die schlechte Heilung zu, entschuldigt sich aber damit, daß die Räumlichkeiten der Anstalt so unzureichend seien, daß vielen Verletzten die nöthige Behandlung nicht zu Theil werden könne. Andern Morgens erhält der Director einen Check von 500 000 Dollars oder 2 Millionen Mark für die Erweiterung der Gebräuchlichkeiten.
- Man darf den Frauen gar kein Geld mehr geben. Tragen sie es in der Gretchentasche - auch ohne Gretchen zu sein - so wird es ihnen gestohlen, tragen sie aber das Portemonaie in der Hand, so wird es ihnen auch rips raps auf offener Straße entrissen. Man frage die Frankfurterinnen der jüngsten Tage.
- Zeitungsleser sind vielseitige Leute, die wie der geniale Julius Cäsar vielerlei zugleich thun können, z. B. die Reichstagsverhandlungen mit Eifer studiren und sich für schöne Frauen interessiren. Nun, als die schönste Frau und Königin zugleich gilt die Königin von Griechenland. Sie ist eine gebietende Erscheinung (imponirend sagt ihr Gemahl) groß und edelgeformt, hat kleine Hände und Füße, üppiges schwarzes Haar, seidene Wimpern und einen milchweißen zarten Teint. Sie ist die Tochter des russischen Großfürsten Constantin. Sie ist zugleich eine famose Reiterin, die nur schöne, arabische Pferde reitet und - unberufen! - fest im Sattel sitzt.
- In eine Wirthschaft in München trat ein Engländer und sah nach dem Thermometer. Dann zog er seinen Ueberzieher aus und hing ihn an den Nagel, nach 5 Minuten den zweiten und endlich den dritten Ueberzieher, im vierten blieb er sitzen und ließ sich das Bier schmecken. Die Gäste dachten, es wäre ein Clown, der Kunststücke machen wollte und suchten nach Nickellstücken. Es war aber ein echter Lord mit echtem Spleen.
- Die Jenenser Studenten haben sich ihr altes Privileg, Schillers Räuber in Weimar zu feiern, nicht nehmen lassen. Als das Stück am 26. November sein 100jähriges Jubiläum auf dem Hoftheater beging, da kamen die Studenten in langer Schlittenreihe von Jena gefahren, hielten einen Umzug um die Stadt und eröffneten das Theater mit dem Lied: Stoßt an, Jena soll leben! Nach einem Prolog sangen sie: Deutschland, Deutschland über alles! und der Senior schloß mit dem Ruf: "Silentium, cantus ex est, das Spiel kann beginnen!" Im 4. Acte stimmten sie das Räuberlied an: Ein freies Leben führen wir! und schlossen mit dem Gaudeamus igitur. Es war ein Spiel im Spiel.
Die "Deutsche Kolonial=Hymne" ist das neueste Erzeugniß der patriotischen Lyrik; wir wollen es unseren Lesern nicht vorenthalten. Die Hymne zu der ein Herr O. H. sogar eine eigene Melodie geschrieben, lautet:
Es braust ein Ruf wie Donnerhall:
Hoch lebe Doktor Nachtigall!
Die deutsche Fahne mit Hurrah
Pflanzt er jetzt auf in Afrika.
Lieb' Vaterland, nun jubelt froh;
Fest sitzen wir auf Klein=Pepo.
Zeigt Frankreich nun und Engeland
Mit Stolz den übersee'schen Strand
Und sprechen: Deutschland, sehen Sie,
Das da ist unsre Kolonie!
So machen wir es ebenso
Und zeigen ihnen Klein=Popo.
Und wenn sie dann aus purem Neid
Unss schieben möchten dort bei Seit,
So können sie erleben was,
Denn da versteh'n wir keinen Spaß.
Ja, machen sie uns gar Halloh,
So hau'n wir sie auf Groß=Popo.
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