No. 79
Die Anzeigen erscheinen wöchentlich zweimal.
Dienstags und Freitags

Schönberg, den 07. Oktober
1884
vierundfünfzigster Jahrgang
Preis vierteljährlich 20 Schilling (Mecklenburg) jährlich 1Mark (Lübeck) 32Schilling (Mecklenburg).
Jahrgang
<< Ausgabe vorher>> Ausgabe danach
[ => Original lesen: 1884 Nr. 79 Seite 1]

          Auf Befehl hoher Landesregierung wird hiedurch zur Kenntniß gebracht, daß das Kommando der 17. Division gebeten hat, für die den Truppen, welche während der diesjährigen Herbstübungen im hiesigen Fürstenthume dislocirt waren, zu Theil gewordene außerordentlich entgegenkommende und gute Aufnahme den Quartiergebern den aufrichtigsten Dank sowohl des Kommandos als auch der betreffenden Truppentheile auszusprechen.

      Schönberg, den 30. September 1884.

Großherzoglich Mecklenb. Landvogtei des Fürstenthums Ratzeburg.
F. von Dewitz.


Skierniewice klingt noch immer in den Zeitungen nach und wird in den Blättern der Geschichte immer nachklingen. Daß auch dies ein Werk des Fürsten Bismarck sei, nebenbei bemerkt, einer seiner größten diplomatischen Schachzüge, war leicht zu errathen. Jetzt bringt die Nationalzeitung eine Art Bestätigung dafür. Ihr Correspondent, den sie an Ort und Stelle gesandt, schreibt: Nach der Tafel standen die drei Kaiser in gemeinsamer Unterhaltung beieinander. Währenddem unterhielt sich die Zarin mit Bismarck. Auf die Gruppe deutend, sagte sie in bewegtem Tone: Wie glücklich bin ich über dieses Zusammenstehen der drei Fürsten! Es hätte längst geschehen müssen und sollte immer so bleiben. Darauf Bismarck: Ew. Majestät dürfen überzeugt sein, daß es meine Lebensaufgabe ist, diesem Wunsche Erfüllung zu sichern; und sollte dies einmal durch unabwendbare Verhältnisse nicht möglich sein, dann wird mich die Neugestaltung nicht mehr als Minister sehen.
Das Gerede von einer Deutsch=Französischen Allianz beschränkt sich, wie nun aus Paris officiös erklärt wird, darauf, daß der "Gedankenaustausch" zwischen Frankreich und Deutschland eine "Identität der Anschauungen" in den wesentlichen politischen Zeitfragen ergab.
In der Besprechung des Fürsten Bismarck mit den an dem Handel in Westafrika interessirten Hamburger und Bremer Firmen soll vorläufig in Aussicht genommen worden sein, Angra Pequena blos unter Deutsches Protectorat, den Kamerun aber unter eine directe Deutsche Colonial=Regierung zu stellen.
Ganz respektabel ist das Geschwader, das zur Vertretung der deutschen Interessen nach Westafrika entsandt wird. Es besteht aus 4 Schiffen mit 50 Geschützen und einer Besatzung von 4313 Mann, unter dem Befehl des Contreadmirals Knorr, eines der tüchtigsten und schneidigsten Offiziere der deutschen Marine. Zweimal schon hat er feindliches Pulver gerochen, und zwar das erstemal bei der Expedition der Corvette Danzig zur Züchtigung der Riffpiraten an der Marokkanischen Küste im Jahre 1856, wobei er verwundet wurde; das zweitemal als Befehlshaber des Kanonenbootes Meteor in einem siegreichen Gefecht mit dem weit überlegenen französischen Kriegsdampfer Bouvet, in der Nähe von Havannah am 9. November 1870.
Interessant ist es zu hören, daß die drei Kaiser in Skierniewice in ihrem persönlichem Verkehr und bei den politischen Gesprächen sich ausschließlich der deutschen Sprache bedient haben.
Die officielle Neue Reichscorrespondenz bezeichnet das Gerücht von der englischen Pilgerfahrt des Fürsten Bismarck als die fetteste Ente, welche z. Z. auf dem Tisch der äußern Politik prange.


Anzeigen.

Oeffentliche Ladung.

1. Der Töpfer Karl Friedrich Wilhelm Schwebe, geboren am 6. März 1853 zu Straßburg, Kr. Prenzlau, zuletzt in Schönberg,
2. der Bäcker Johannes Theodor Friedrich Petersen, geboren am 6. August 1856 zu Vorwerk, Kr. Lübeck, zuletzt in Herrnburg, hiesigen Gerichtsbezirks, und
3. der Schuhmacher Ernst Wilhelm Pfeiffer, geboren am 7. Oktober 1860 zu Salkau, Kr. Züllichau, zuletzt in Schönberg,
werden beschuldigt,
ad 1 als Wehrmann ohne Erlaubnis ausgewandert zu sein,
ad 2 und 3 als Ersatzreservisten 1. Klasse ausgewandert zu sein, ohne von ihrer bevorstehenden Auswanderung der Militärbehörde Anzeige erstattet zu haben, Uebertretung gegen § 360 No. 3 des St. G. B.
Dieselben werden auf

Freitag, den 12. Dezember 1884,
Vormittags 10 Uhr,

vor das Großherzogliche Schöffengericht zu Schönberg i./M. zur Hauptverhandlung geladen.
Bei unentschuldigtem Ausbleiben werden dieselben auf Grund der nach § 472 der Strafprozeßordnung von dem Großherzoglichen Landwehr=Bezirks=Commando zu Neustrelitz ausgestellten Erklärung verurtheilt werden.
Schönberg den 18. September 1884.

Der Großherzogliche Amtsanwalt.
von Dewitz.


Anmeldungen zum Eintritt in den Diätenverein für Geschworene beider Mecklenburg nimmt der Kaufmann L. Spehr in Schönberg entgegen.
Die bis zum 31. October d. J. eingetretenen Mitglieder erwerben noch Anspruch auf Diäten für das Jahr 1885.


[ => Original lesen: 1884 Nr. 79 Seite 2]

Kriegerverein für das Fürstenthum Ratzeburg.
Allgemeine Versammlung.

Sonntag den 12. ds. Mts. nachmittags 4 Uhr im Vereinslokale.
Tagesordnung: 1) Geschäftlicher Teil: Vereinsangelegenheiten etc. 2) Gemütlicher Teil: Gesangvorträge etc.

Der Vorstand.       


Hauptversammlung des
Imkervereins:
Sonntag, den 12. October.


Am Markttage Tanzmusik
wozu einladet                                                     Gastwirth Staak.


In Kösters=Hotel
am Markttage Tanzmusik
á Tanz 10 Pfennig.


Während der Markttage!
Musikalische Vorträge
der Singspielgesellschaft Braun.
Um geneigten Zuspruch bittet ergebenst
                                                    Johs. Krüger.


Torf=Auction.

Am Freitag, den 10. October, Morgens 10 Uhr sollen auf dem Kuhlrader Moor an Ort und Stelle

ca. 100 Mille Formtorf

meistbietend bei freier Concurrenz gegen Baarzahlung verkauft werden.
Schönberg den 2. October 1884.

Der Oberförster:                    
C. Hottelet.          


Tesch's Restauration.
Heute und Morgen:
Krebs= Suppe.
Kalte und warme Speisen
á la carte.

Weine und Biere verschiedener Firmen, wozu freundlichst einladet

F. Tesch und Frau.       


Von heute an decken meine

3 Ziegenböcke

pro Ziege 60 Pfennig.

                          J. Peters, Schleuentrift.


Scillilinlatwerge
gegen Ratten und Mäuse, ungefährlich für andere Hausthiere, sowie
Phosphorpillen
gegen Feldmäuse empfiehlt                                                    
                                                    die Apotheke zu Schönberg.


Zwei Stamm der auf verschiedenen Ausstellungen mit dem ersten Preise prämiierten schwarzen

"Selmsdorfer Enten"

stehen auf der Pfarre zu Selmsdorf zum Verkauf.


      Einem hochgeehrten Publikum Schönbergs und Umgegend die ergebene Anzeige, daß ich mit dem heutigen Tage

Sabowerstraße 27

eine Colonial=, u. Kurzwaaren= Handlung

eröffnen werde.
      Es wird stets mein eifrigstes Bestreben sein, nur gute Waare zu möglichst billigen Preisen abzugeben, und bitte mein Unternehmen gütigst unterstützen zu wollen.

                                                    Mit größter Hochachtung
                                                    ganz ergebenst
                                                    Gustav Mohr.

      Schönberg i. M., den 1. October 1884.


[ => Original lesen: 1884 Nr. 79 Seite 3]

Alle Wähler in Mecklenburg=Strelitz mit Einschluß des Fürstenthums Ratzeburg, welche für eine conservative Reichstagwahl mitzuwirken geneigt sind, werden hierdurch zu einer Besprechung auf

Mittwoch, den 8. October d. J.,
Nachmittags 3 Uhr

in das Stöwhase'sche Gartenlokal hieselbst eingeladen.
Gegenstände der Besprechung:
      1. Die Einigung über den aufzustellenden Kandidaten.
      2. Die zwecks Erreichung der Wahl desselben zu ergreifenden Maßnahmen.
Neubrandenburg, im September 1884.

Der conservative Wahlausschuß.

       Landsyndicus Rath Ahlers=Neubrandenburg.
       Geheimer Legationsrath a. D. von Oertzen=Leppin.
       Rechtsanwalt Rath Raspe=Neubrandenburg.


Mecklenburgische Bank in Schwerin i. M.
Status per ultimo September 1884.

[Tabelle siehe im Abbild der Originalseite]


Kräftige Stutzhaare

bezahle mit 1,50 à Pfund.
Schönberg im September 1884.

J. Licht.            
Bürstenmacher.       


Doppelt geschlemmtes
Silicium
empfiehlt                                                     Aug. Spehr.


Die Agentur der Mecklenburgischen Bank,
für
Schönberg und Umgegend,

vertreten durch den Unterzeichneten ist bevollmächtigt und bereit zur directen Vermittlung aller der Mecklenburgischen Bank in Schwerin zu offerirenden Geschäfte:
Entgegennahme u. Rückzahlung von Spar- und Capital-Einlagen gegen Sparbücher, Schuldverschreibungen und Baar-Conto-Corrent.
Bewilligung von Darlehen und Crediten gegen Sicherheit; Discontirung von Wechseln und gekündigter oder ausgelooster Werthpapiere;
Verkauf von Tratten auf das europäische und aussereuropäische Ausland; insbesondere auf Amerika.
An- und Verkauf von Staatspapieren und Börseneffecten.
Die Bedingungen für alle Geschäftszweige der Bank in einem Promemoria ausführlich zusammengestellt, sind kosten- und portofrei von mir oder von der Bank direct zu beziehen.

Schönberg i. M.                                                     Wilh. Schrep.


Zu Ostern findet ein tüchtiger Tagelöhner Wohnung.

Rodenberg.                                                     H. Burmeister.


Zu Ostern d. J. 1885

steht eine Parterre=Wohnung zu vermiethen. Wo? Zu erfragen in der Expedition dieses Blattes.


Zu Ostern habe ich eine Parterre=Wohnung mit etwas Gartenland zu vermiethen.

Wittwe Fick, Siemzerstraße Nr. 162.


Empfehle alle Neuheiten in Herbst= und Winter=Mänteln, sowie Kleiderstoffe, Besätze, Buckskin etc. zu sehr billigen Preisen.

Wilh. Oldenburg.       


[ => Original lesen: 1884 Nr. 79 Seite 4]

In Tuchen und Buckskins zu Anzügen, Stoffen zu Winterpaletots von den billigsten bis zu den besten Qualitäten ist unser Lager durch das Eintreffen der persönlich auf der Leipziger Messe gekauften

Neuheiten

complet sortirt, was wir uns hiermit anzuzeigen erlauben.

Gebr. Burchard.       


Kleiderstoffe,
glatt und mit dazu passenden Besätzen, schwarze
Seidenzeuge,
empfehlen in sehr großer Auswahl                          
                                                    Gebr. Burchard.


Confection für Damen:

Ganz und halbanschließende Paletots, Pellerinen=Dolmanne, Havelocks, in glatt Double= und Jaquard=Stoffen, Regenmäntel in verschiedenen Facons, empfehlen sehr große Auswahl zu billigsten Preisen.

Gebr. Burchard.       


Regenmäntel
für kleine Mädchen,
Winterüberzieher
für Knaben, in den gangbaren Größen halten vorräthig                          
                                                    Gebr. Burchhard.


Zu ganzen

Ausstattungen

empfehlen: Bettdrelle, Bettbezüge, weiße Leinen, Gedecke, Tischtücher, Servietten, Handtücher, Teppiche, Bettvorleger und Waffeldecken in nur guten Qualitäten und Mustern

Gebr. Burchard.       


Bettfedern

Gebr. Burchard.       


Filz und Sammethüte

in den neuesten Formen, sowie Band, Blumen, Federn und Agraffen empfiehlt in großer Auswahl zu den billigsten Preisen

H. Scheer.       


Regenschirme

in guter Auswahl, von 1,50 M. an, empfehle bestens. Reparaturen führe prompt aus.

H. Scheer.       


Zur Feier des Geburtstages Sr. Königlichen Hoheit des Großherzogs wird am 17. October Abends 7 Uhr in meinem Saale ein Abendessen stattfinden, wozu ich mir erlaube hierdurch ergebenst einzuladen.

Preis à Couvert 3 Mark.

Anmeldungen bitte ich spätestens bis Dienstag d. 14. ds. Monats mir einzusenden.

Ludwig Spehr.       


Einem hochgeehrten Publikum von Stadt und Land halte mein wohl assortiertes

Tapisserie=Geschäft

unter Zusicherung prompter und reeller Bedienung bestens empfohlen

Helene Abels,                
Siemzerstraße No. 199.          


Neu!
Patent-Stopf-, Stick- u. Web-Apparat

passend an jeder Singer=Nähmaschine mit Hilfe dessen man zerrissene Wäsche sehr schön und in unglaublich kurzer Zeit stopfen kann und der außerdem mit Vortheil zum Namensticken zu verwenden ist, sowie

Singer=Nähmaschinen

versehen mit den neuesten Verbesserungen empfiehlt unter mehrjähriger Garantie.

Rud. Schrep.     


Gesucht
zu sofort oder zu Ostern ein Lehrling.                          
                                                    Heinr. Badstein.
                                                    Stellmachermeister.


Am 4. ds. ist bei mir ein weißes Schaf zugelaufen. Der Eigenthümer kann es gegen Erstattung der Kosten in Empfang nehmen.

Schlachter Bahr, Selmsdorf.       


Getreide=Preise in Lübeck.
[Tabelle siehe im Abbild der Originalseite]


Markt=Preise in Lübeck.
[Tabelle siehe im Abbild der Originalseite]


Hierzu eine Beilage.


Redigirt, gedruckt und verlegt von L. Bicker in Schönberg.


[ => Original lesen: 1884 Nr. 79 Seite 5]

Beilage
zu Nr. 79 der Wöchentlichen Anzeigen für das Fürstentum Ratzeburg.
Schönberg, den 7. October 1884.


Neustrelitz, 2. Oktober. Nach dreimonatiger Abwesenheit ist seine Königliche Hoheit der Großherzog mit dem heutigen Mittagszuge in erwünschtem Wohlsein wieder in hiesiger Residenzstadt eingetroffen.
- Von der schöpferischen Hand des Bildhauers Meisters Donndorf geschaffen und aufgerichtet steht seit einigen Tagen das schöne Denkmal für Johann Sebastian Bach, den Meister des Orgelspiels und den Schöpfer unsterblicher Orgelkompositionen in Eisenach, ein Schmuck der Stadt und eine geweihte Kunststätte. Bach wurde vor 200 Jahren in Eisenach geboren und es ist wohl kein Zufall, daß Eisenach seine Geburtsstätte wurde, wo auch Luther als Currendschüler durch die Straßen zog und mit seiner herrlichen Stimme die Leute erbaute, wie später unter den Kämpfen und Stürmen der Reformation Alt und Jung, Gläubige und Ungläubige durch sein Lied: "Ein' feste Burg", das er selbst aus dem Herzen heraus gedichtet, in Töne gebracht und zur Laute gesungen hat. Durch die ganze Bachfeier, durch die vortreffliche Festrede des Archidiacons Kieser, durch die Gesänge und andere Musikaufführungen, durch alle festlichen Veranstaltungen und selbst durch die vieltausendköpfige andächtige Menge zog ein wohlthuender Hauch und Strahl des ernsten, stillen Meisters, dem die Feier galt und der als Cantor an der Thomaskirche in Leipzig, fern vom Geräusch der Welt gelebt hat und gestorben ist. In unserer Zeit voll Lärm und Geschrei war das die würdigste Feier, und welch' großer, stiller Gemeinde er sich erfreut, zeigten die Gäste, die aus aller Welt sich eingefunden hatten, unter ihnen die Prinzessin Maria von Meiningen und Franz Liszt.
- Das Reichsgericht hat eine bemerkenswerthe Entscheidung gefällt in Beziehung auf die Frage, unter welchen Umständen eine falsche ärztliche Behandlung, welche den Tod des Kranken zur Folge hat, als fahrlässige Tödtung zu bestrafen ist. Dem Dienstknecht H. war am 5. April 1884 durch einen Messerstich in die Brust eine Wunde beigebracht worden. H. wurde von dem praktischen Arzte Dr. N. behandelt, welcher unter Nichtbeachtung des sogenannten Antiseptischen Verfahrens, nach der alten Methode die Wunde zu heilen versuchte. Am 30. April d. J. starb H. an septischer Blutvergiftung. Dr. N. wurde hierauf nach § 222 des Strafgesetzbuches wegen fahrlässiger Tödtung angeklagt und von der Strafkammer verurtheilt, indem dieselbe annahm, daß ein praktischer Arzt soweit auf der Höhe der Wissenschaft sich erhalten müsse, daß er von den in der modernen medicinischen Wissenschaft anerkannten Regeln der Heilkunde genaue Kenntniß erlange und solche beobachte, und daß in dem vorliegenden Falle Dr. N. als praktischer Arzt bei gewöhnlicher Aufmerksamkeit habe erkennen müssen, daß das von ihm beobachtete Verfahren den Tod des H. zur Folge haben könne. In der von Dr. N. eingelegten Revision machte dieser geltend, daß er die von ihm erlernte und in langjähriger Praxis erprobte Heilmethode angewendet, dagegen von der Antiseptik, welche eine noch im Stadium der Experimente befindliche Erfindung der Neuzeit sei, keinen Gebrauch gemacht habe. Das Reichsgericht, erster Strafsenat, erachtete diesen Einwand nicht für stichhaltig und verwarf durch Urtheil vom 3. Juli 1884 die Revision.
- Wir werden den Kommbaccillus nicht los! Jetzt hat ein englischer Gelehrter, der Pathologie und Mikroskopiker Lewis die Entdeckung gemacht, daß er in unserer Mundflüssigkeit enthalten ist, einerlei, ob wir gesund oder krank sind. Es wäre also dieses Thierchen, daß unter Umständen eine so mörderische Wirkung auszuüben im Stande sein sollte, eine nothwendige Vorbedingung für das menschliche Dasein. Ist daher der Kommabacillus wirklich die Ursache oder doch die mitwirkende Ursache bei Entstehung der Cholera, so kann er es nur in seinem krankhaften Zustande sein und auch nur dann, wenn er die nöthige krankhafte Empfänglichkeit des Magens und des Darmkanales vorfindet. Diese ganze Wirkung wird aber von dem englischen Forscher angezweifelt, indem er die Ansicht ausspricht, die massenhafte Vermehrung dieses Parasiten im Darmkanal der Cholera= und Brechruhrkranken rühre daher, daß die heftige Blutwasserausscheidung des Darmkanals eine für solche Vermehrung günstige Nährflüssigkeit bilde. Die umgekehrte Meinung also, die Koch ausspricht. Für die Praxis hat diese rein wissenschaftliche Streitfrage einstweilen keine Bedeutung. Die äußeren Erkennungszeichen der Cholera, deren Entstehung und Verlauf bleiben dieselben, wie auch die Verhaltungsmaßregeln und die Behandlung selbst keine Aenderung erleiden, obwohl damit nicht gesagt sein soll, daß sie nicht noch verbessert werden könnten.
- Die Aussetzung von Kindern ist in Paris in stetiger, starker Zunahme. Vor 1875 wurden nur wenig über 2000 Kinder jährlich ausgesetzt oder einfach dem städtischen Waisenhaus übergeben; 1883 waren es 3275. Von diesen Kindern erreicht kaum ein Viertel das Alter von 15 Jahren. In den übrigen großen Städten herrschen ähnliche Zustände. Von den in Paris ausgesetzten Kindern, meist im Säuglingsalter, sind die allerwenigsten ehelicher Geburt.
- Ein Selbstmörder aus Seekrankheit ist der Passagier Niemann aus Werlitz, der mit dem von Bremerhaven nach NewYork expedirten Schnelldampfer "Ems" nach Amerika reisen sollte. Als die "Ems" in See stach, erfaßte die Seekrankheit den Aermsten derart, daß er plötzlich an die Reeling lief und, ohne daß man dies hindern konnte, über Bord sprang. Ein zweiter Passagier, Namens Mollin, wollte dem Beispiele folgen, wurde aber noch glücklich erwischt und festgehalten. Es wurde sofort ein Boot ausgesetzt, um Niemann zu retten, der dritte Offizier konnte aber den vor seinen Augen Versinkenden nicht mehr fassen. Die Leiche ist noch nicht aufgefunden. Mollin wurde mit einem kleinen Dampfer ans Land befördert und nach Bremen zurückgebracht; er hat auf die Reise verzichtet.
- Zu Sunderland in England machte eine Frau die Wahrnehmung daß aus dem Troge ihres Schweines das Futter abhanden kam. Um der Sache auf den Grund zu gehen, stellt sie sich auf die Lauer, und als es dunkelte, bemerkt sie, wie ein Mann und eine Frau sich heranschlichen und das Futter, aus Brod, Brühe und anderen Speiseresten bestehend, aus dem Troge holten. Die Frau folgte ihnen bis zu einem Hause, in das sie eintraten, und ging, nachdem einige Minuten verstrichen waren, ebenfalls in das Haus, um zu ihrem Erstaunen zu sehen, wie fünf kleine, um einen Tisch sitzende Kinder das Futter ihres Schweines begierig verschlangen.
- Es hat Jemand auf das russische 1866er Prämienloos Serie 14,115 Nr. 50 den Hauptgewinn von 50,000 Rubel gemacht, ohne es zu wissen; denn der Gewinn ist seit einem Jahre unerhoben geblieben.
- Die Fetten von New=York hielten kürzlich ihr Jahresfest ab. Vor dem Festessen fand eine allgemeine Verwiegung statt. Nicht wenige wogen zwischen 300 und 400 Pfund, der aus 12 Köpfen bestehende Vorstand ergab ein Gewicht von 4038 Pfund, im Durchschnitt also 336 1/2 Pfund. Mitglieder, die nur 250 Pfund wogen, wurden nur so über die Achsel angesehen oder arg verspottet. Daß bei Teufel Schmalhans nicht Küchenpeter war braucht nicht versichert zu werden.

[ => Original lesen: 1884 Nr. 79 Seite 6]

Daß man in Paris trotz der schlechten Zeit nicht kärglich lebt, zeigt der dortige Fleischverbrauch, der seit 20 Jahren von 165 auf 190 Pfund auf den Kopf der Bevölkerung gestiegen ist. Die jährliche Gewichtsmenge beläuft sich auf 404 Millionen Pfund. Außerdem werden jährlich verzehrt: 50 Mill. Pfund Fische und Fischwaaren, 46 Millionen Pfund Butter und Käse und 40 Mill. Dutzend Eier, sodaß also auf jeden Bewohner jährlich 210 Eier kommen.
Der Züricher Cantonsrath hat der Wiedereinführung der Todesstrafe für Mörder zugestimmt.
Der Portugiese Serpa Pinto, der vor mehren Jahren bereits den südlichen Theil von Afrika quer durchkreuzte, wird von Mozambique aus eine neue Reise antreten, um das Land bis zum Nyassa=See zu erforschen. Er nimmt 100 Zulus und 250 Träger mit.
Bei Linz am Rhein, wo der sogenannte Ahrbleichert wächst, ist die Reblaus entdeckt worden. Sie soll sich bereits über eine Fläche von 100 Morgen verbreitet haben.
In Kopenhagen wurde in der Nacht zum 4. Oktober das in der Mitte der Stadt belegene in großartigem Stile gebaute Schloß Christiansburg ein Raub der Flammen. Große Kunstschätze, darunter Werke von Thorwaldsen, ferner das Archiv des Reichstages sind vernichtet. Der Schaden wird auf mehrere Millionen Mark geschätzt. Die Schloßkirche und das unweit belegene Thorwaldsen=Museum konnten nur mit größter Mühe vor den Flammen geschützt werden. Der König und der Kronprinz waren bis Mitternacht auf der Brandstätte.
Am Donnerstag ist in Wien Hans Makart gestorben, der durch seine überraschende Fruchtbarkeit im Schaffen schöner Gemälde neuerdings so sehr verehrte Maler. In seinen Werken findet sich stets das poesievolle Kolorit, die Lust an schönen Frauenformen, die Freude an Glanz und Farbe in der Natur, an Prunkgeräthen und Stoffen in allen Variationen des Themas von der Erdenschönheit wieder. Am Sonntag ist er beerdigt.
Das russische Petroleum scheint die Concurrenz mit dem amerikanischen auch in Mitteldeutschland aufnehmen zu können, denn in verschiedenen Städten des Königreichs Sachsen treffen seit einiger Zeit Behälterwagen von Sendung der Gebrüder Nobel, Pächter der Petroleumwerke bei Baku, ein und werden in Fässer umgefüllt.
- Die Obstzüchter prophezeien für 1885 ein gutes Obstjahr, da viele Tragknospen an den Bäumen wahrzunehmen seien.
- Eine große Menge von Eisbergen bewegen sich durch die Davisstraße herunter. Ein Dampfer begegnete an der Küste von Neufundland auf einer nicht zu langen Strecke 253 solcher Unholde.
- Aus dem frühen Brunstschrei der Hirsche in diesem Jahr glauben die Jäger auf einen strengen Winter schließen zu müssen.
- Weil der Hopfen so gut gerathen und so billig ist, sollen die Bierbrauereien noch schärfer als seither geprüft werden, ob keine gesundheitschädlichen Stoffe unter das Bier gerathen. Die unerwarteten Bierpantschereien in Bayern geben dazu Anlaß; denn das Mißtrauen geht über die Grenze.
- Victor Baron von Erlanger in Wien, ein verschwenderisches Mitglied der "goldenen Jugend" in Wien, ist gerichtlich unter Curatel gestellt worden. Sein Vormund ist sein Onkel von Erlanger in Frankfurt.
- Ein Leibgericht der Manövertruppen wird von einem Garde=Reservisten geschildert, der es beim letzten Manöver mit bereiten half. Es gibt bekanntlich Leute, welche die Manövereinquartierungen nicht allein als eine fürchterliche Last erachten, sondern auch die armen Soldaten dafür verantwortlich machen. Solchen Wirthen wird dann von den betreffenden Soldaten gern ein gewiß entschuldbarer Streich gespielt, der nach dem Grade der Feindseligkeit des Wirthes gesteigert wird. Entweder findet der Wirth nach dem Abmarsch an dem Hofthor eine sinnige Inschrift, wie "Hungertyphus", "Hotel zum hungrigen Wolf", "Hotel zum filzigen Knickstiebel" oder dergleichen, oder er muß tagelang nach irgend welchen Wirthschaftsgeräthen suchen. In den allerschlimmsten Fällen aber, wenn der Wirth den Soldaten widerrechtlich Kochholz und Kochraum verweigert, dann gehen die Grenadiere an die Bereitung ihres Leibgerichts. Auf dem Hausflur wird ein Feuerchen angemacht und bei diesem bratet ein Grenadier nach dem andern sein Leibgericht einen Häring, aber nicht in Butter, sondern in Petroleum. Da aber die Grenadiere mit Braten in der Regel nicht recht Bescheid wissen, lassen sie den Leckerbissen regelmäßig verkohlen und kommen um den "Genuß". Bei diesem Verfahren entwickelt sich nun ein ganz wunderbarer Duft, der durch alle Ritzen bricht, sich wie Kletten in die Kleider, Betten und Haare festhängt und von einer mindestens 4wöchentlichen Dauer ist. Ein Hauswirth, bei dem sich die Grenadiere einen Häring gebraten haben, ist in der Regel gründlich kurirt und wird der freundlichste Wirth, den man sich nur wünschen kann. - In der Gegend von Wittenberg soll es diesmal zum Braten des Leibgerichts gekommen sein.
- Berühmt waren einst die Ulmer Pfeifenköpfe aus Maser, aus denen Hunderttausende oder auch Millionen mit Vorliebe rauchten; auch die Ulmer Doggen waren und sind nicht ohne. Am berühmtesten und nützlichsten aber sind Pflugschaaren, die aus der Fabrik der Gebrüder Eberhardt in alle Welt gehen und ihre friedlichen Furchen ziehen. Als neulich die 100 000ste fertig wurde, gaben die Gebrüder Eberhardt ihren vielen Arbeitern ein schönes Fest, bei welchem es hoch her ging.
- Der reichste Landwirth war Sennor Anchelenna in Buenos=Aires. Er besaß 1710 Quadratmeilen Land, 152 000 Kühe, 500 000 Schafe und viele Häuser. An Baargeld oder Papieren hinterließ er 2 400 000 Pfund Sterl. und seine letzte Frage und Sorge war, ob er droben zu den Böcken oder Schafen komme.
- Der Vorstand der deutschen Reichsfechtschule erläßt einen Aufruf, in welchem zum Sammeln von Aepfel= und Birnenkernen aufgefordert wird, da für das Pfund 1 bis 2 Mark gezahlt werde.
- Die größte Mühlenstadt der Welt und gleichzeitig die Stadt der größten Mühlen ist Minneapolis am oberen Mississippi. Die 22 meist durch Wasserkraft betriebenen Mühlen liefern wöchentlich 100 000 Faß Weizenmehl oder 5 200 000 im Jahr, was einem Gewicht von 1000 Millionen Pfund entspricht. Außerdem bestehen dort Sägemühlen, die jährlich 100 Millionen Fuß Bretter liefern. Die Stadt hatte 1856 nur 4600 Einwohner, 1870 12 066, jetzt über 50 000.
- Ein theueres Kegelschieben. Wie arg die Spielwuth mitunter grassirt, dafür giebt ein Vorfall Zeugniß, welcher sich kürzlich bei Teplitz ereignete. Der dortigen Gendarmerie wurde die Anzeige erstattet, daß in einem Gasthause eines benachbarten Ortes eine Gesellschaft dem Kegelspiele oblag. In wie weit dieses als "Spiel" zu betrachten war, möge daraus erhellen, daß auf eine Kugel 1000, auf eine andere 1800 Gulden gesetzt wurden! - Die Theilnehmer an der "Unterhaltung" wurden dem Bezirksgerichte zur Anzeige gebracht.


<< Ausgabe vorher>> Ausgabe danach
ZVDD