No. 101
Die Anzeigen erscheinen wöchentlich zweimal.
Dienstags und Freitags

Schönberg, den 25. Dezember
1877
siebenundvierzigster Jahrgang
Preis vierteljährlich 20 Schilling (Mecklenburg) jährlich 1Mark (Lübeck) 32Schilling (Mecklenburg).
Jahrgang
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[ => Original lesen: 1877 Nr. 101 Seite 1]

          Zum Weihnachtsfeste.
   Weihnacht glänzt aus allen Häusern
   Kerzenhell und maiengrün,
   Und an grünen Fichtenreisern
   Will ein Wunderreich erblühn.

   Überall ertönen Lieder,
   Und Gebet steigt himmelwärts;
   Gott legt seine Erde wieder
   Gnadenreich ans Weltenherz.

   Aus den Wolken hör' ich schallen
   Engelchöre auf und ab:
   "Fried' und Freud' und Wohlgefallen
   Der der Welt das Kindlein gab!"

   Aus den Kirchen aller Orten
   Tönt das große Liebeswort:
   "Brüder seid Ihr alle worden;
   Jesus Christus Euer Hort!"

   Aufgethan sind alle Herzen,
   Abgeworfen Rang und Stand,
   Und die hellen Liebeskerzen
   Flammen durch das ganze Land.

   Freundesmund an Freundesmunde,
   Fürstengruß und Bürgerkuß -
   O du sel'ge Weihnachtsstunde,
   Die ein Jeder segnen muß! -


Weihnachten!

Wiederum feiern wir das "fröhliche und seelige" Fest der Weihnacht in welcher einst die himmlischen Chöre sangen: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!" Worte, die heut nur noch wie eine Mahnung klingen, nicht wie der freudige Ausdruck über das Vorhandene. Weihnachtsfest ist in diesem Jahre nach mannigfacher Hinsicht leider kein Fest der Freude, weil zur Freude die Vorbedingungen fehlen und die hochreligiöse Weihe des Festes unter dem Eindruck der materiellen Weltlage leidet.
Der sorgenvolle Fabrikant, der beschäftigungslose Arbeiter, der absatzbedürftige Kaufmann - allen fehlt der äußere Anlaß zur Freude und Tausende von Kindern werden in diesem Jahre den grünen Tannenbaum vermissen, unter dessen flimmerndem Kerzenglanz, goldenen Aepfeln und Nüsse behängten Zweigen sich in früheren Jahren vor ihm die herrlichsten Gaben ausbreiteten!
Wenn wir diese Aeußerlichkeit des Festes ins Auge fassen und auf die Ursachen unserer wenig tröstlichen und geschäftlichen Lage blicken, müssen wir wieder an den Gesang der Himmelschöre denken.
"Friede auf Erden!" Da würgen sich im Südosten unseres Welttheils zwei Völker im mörderichsten Kampfe, von denen das eine seinen Besitz und seine barbarischen Sitten vertheidigt, das andere seine Cultur und die Unabhängigkeit der Christen verfechtet.
"Friede auf Erden!" Da stehen in Frankreich die Parteien im wüthensten Haß einander gegenüber; der Geldsack, der Säbel, die Kutte und der Knüttel ringen mit einander um die Herrschaft und die Gerechtigkeit verhüllt trauernd ihr Haupt.
"Friede auf Erden!" Da befehden sich die Völker diesseits und jenseits der Leitha (in Oesterreich=Ungarn), sie sind getheilt in ihren Sympathien für die an ihren Grenzen Kriegführenden; sie befehden sich wegen des Bankausgleichs, bei welchem sich immer eins von dem andern übervortheilt glaubt. Der Monarch, der in unerschütterlicher Festigkeit zwischen den beiden Parteien steht, hat entschieden gegen eine Verminderung des stehenden Heeres sich ausgesprochen.
"Friede auf Erden!" Wir wollen von den Nachbarn ablassen und uns im eigenen Hause umsehen. Welche von unseren politischen Parteien ist eine solche des Friedens? Die conservative, die nationalliberale, die ultramontane, die fortschrittliche oder gar die sozialistische? Die beiden erstgenannten jagen nach den Ministersesseln für ihre Kandidaten, die drei letztgenannten stören durch ihre tendenziöse Opposition die friedliche Entwickelung in unserm Innern. - - -
Hoffen wir, daß wenn wiederum aus grünen Tannenzweigen das Licht der Weihnachtskerzen im traulichen Zimmer scheine der Gesang der himmlischen Chöre nicht mehr wie eine dringende Mahnung, sondern wie der Ausdruck der Freude erschallt; daß der Friede im Innern und nach Außen hin seine Segnungen auf Industrie und Handel wieder geltend mache, daß unsere Weihnachtsstimmung nicht wieder getrübt werde durch erdrückende materielle Sorgen und daß auch wir nicht nur aus alter Gewohnheit, sondern aus freudigem Herzen mit einstimmen in dem Rufe: "Friede auf Erden!"


Politische Rundschau.

Deutschland. Das Verhältniß Deutschlands zu Frankreich dürfte sich durch die Ernennung Waddigton's zum Minister des Aeußern und Saint Vallier's zum Botschafter in der nächsten Zeit freundlicher gestalten. Waddington ist Protestant, steht in intimen Beziehungen zum Fürsten Hohenlohe und ist mit einer angesehenen deutschen Familie (Bunsen), nahe verwandt.
Der Reichskanzler hat dem Bundesrathe den Entwurf einer Prüfungsordnung für das gesammte Personal der Eisenbahnen Deutschlands zur Beschlußfassung vorgelegt.
Im Bundesrathe hat am Donnerstag die letzte Sitzung in diesem Jahre stattgefunden; es wird eine kurze Vertagung eintreten. Nach dem Fest werden sofort die Etatsarbeiten und etliche andere Gesetze erledigt werden, die dem Reichstage bald nach seinem Zusammentritt zugehen sollen.
Der Bundesrath wird seine Weihnachtsferien bis zum 10. Januar ausdehnen und der Reichstag einer neuen Version zufolge am 27. Jan. zusammentreten.
Der Reichskanzler hat ein ihm zugegangenes Projekt eines englischen Consortiums, Berlin mit Hamburg und Lübeck durch Kanäle zu verbinden, dem Baurath Lohmeyer in Ratzeburg zur Begutachtung übergeben.

[ => Original lesen: 1877 Nr. 101 Seite 2]

Englands Parlament wird gleich nach seinem Zusammentritt angenehme Arbeit bekommen; es soll nämlich eine namhafte Geldforderung bewilligen, die das Ministerium zum "drohen" braucht.
An der Flottenrüstung wird eifrig gearbeitet und das kostet viel Geld: Die "Times" meinen zwar sonderbarer Weise, für militärische Zwecke werde die Summe nicht verlangt, sondern "um die Interessen Englands im Auslande zu schützen." Feinhörige verstehen darunter eine Annektion Egyptens; der Suezkanal ist ja schon gekauft, warum nicht auch das Uferland.
Das türkische Parlament ist zusammengetreten und hat Sadyk Pascha zu seinem Präsidenten gewählt, denselben, dessen grausame Regierungsthätigkeit in Salonichi eine der äußeren Ursachen des Krieges wurde. Sadyk hat das Amt abgelehnt, wahrscheinlich auf Drängen der bei der Pforte beglaubigten Botschafter. Seine Wahl zeigt aber immerhin die Gesinnung der osmanischen Bevölkerung gegen ihre christlichen Mitbürger.
Die Nachrichten über Friedensvermittelungen sind unter einander so widersprechend, daß es der Mühe kaum lohnt, sie wiederzugeben. Das Wahrscheinliche ist, daß zwischen den drei Kaisermächten die Grundzüge des Friedens schon längst festgestellt sind und daß Rußland nur direkt mit der Pforte verhandelt.
Am Dienstag brachte das diplomatische Corps in Madrid dem jungen König von Spanien zu dessen bevorstehender Vermählung seine Glückwünsche dar.


Anzeigen.

In Sachen betreffend den zwangsweisen öffentlich meistbietenden Verkauf der zu Mannhagen belegenen Freischulzenstelle c. p. der Ehefrau des Freischulzen Hennings von dort, Dorette geb. Solvie, wird hierdurch gemeinkundig gemacht, daß der Viceschulze Christian Brüggemann zu Mannhagen zum Sequester von dem unterzeichneten Gerichte bestellt worden ist.
Schönberg, den 12. December 1877.

Großherzogliches Justizamt der Landvogtei des Fürstenthums Ratzeburg.
v. Arnim.

A. Dufft.     


Nach der uns gestern gemachten Anzeige sind von dem s. g. Kohlenhause auf der von dem August Ohst bewohnten, zur Baeck belegenen herrschaftlichen Kupfermühle 25 bis 30 Dachpfannen gestohlen worden.
Wir bitten um gefällige Vigilanz auf den Dieb und das gestohlene Gut, sowie eventuell um sofortige Benachrichtigung dienstergebenst.
Schönberg, den 19. December 1877.

Großherzogl. Justizamt der Landvogtei des Fürstenthums Ratzeburg.
v. Arnim.

A. Dufft.     


Nach der uns am 20. d. Mts. gemachten Anzeige hat die aus Schwartau gebürtige Wilhelmine Catharina Johanna Engel, 18 Jahre alt, sich in der Nacht vom 17./18. d. Mts. heimlich aus ihrem Dienste bei dem Hufner Koch in Panten entfernt, unter Mitnahme eines ihrer Dienstherrschaft gehörigen Paar Zeugstiefel und einer grünen Kleid=Taille.
Wir ersuchen daher alle resp. Gerichts= und Polizeibehörden dienstergebenst, auf die oben bezeichnete etc. Engel, gegen welche in Beihalt des § 242 des Strafgesetzbuchs das Vergehen des Diebstahls indicirt ist, zu vigiliren, dieselbe im Betretungsfalle zu arretiren und sammt ihren Effecten an uns abliefern zu lassen.
Schönberg, den 21. December 1877.

Großherzogliches Justizamt der Landvogtei des Fürstenthums Ratzeburg.
v. Arnim.

A. Dufft.     


Auction.

Am Freitag den 28. d. Mts., von Morgens 10 Uhr an, sollen im Gastwirth Boye'schen Locale in Schönberg

Manns= und einige Frauenkleidungsstücke, Betten, worunter mehrere neu, Tische, Commoden, Schränke, theils von Nußbaumholz, 2 silberne Uhren und verschiedene andere Gegenstände
in öffentlicher Auction gegen baare Zahlung versteigert werden.
Schönberg.

Staffeldt.          
Landreiter.     


Auction.

Am Freitag den 28. d. Mts., Vormittags 11 Uhr, sollen im Gastwirth Boie'schen Locale in Schönberg an abgepfändeten Gegenständen

1 Pferd, 1 Pflug, 2 eisenzinkige Eggen und etwas Haus= und Küchengeräth
öffentlich meistbietend verkauft werden.

Schönberg.                                                     Staffeldt, Landreiter.

Auction.

Am Donnerstag, den 27. December c., Mittags 12 Uhr, sollen im Kruge zu Campow an abgepfändeten Gegenständen in öffentlicher Auction gegen gleich baare Zahlung verkauft werden:

1 großer Bauwagen mit eisernen Axen, Leitern und Schossen, 1 Rommel, 1 Lehnstuhl, 1 Spiegel.
Schlagsdorf, den 14. December 1877.

Krüger, Landreiter.     


Ersparniß= und Vorschuß-Anstalt
in Schönberg

Die zu Antonii k. J. auf die bei der Vorschuß=Anstalt belegten Kapitalien fällig werdenden Zinsen werden wir bereits
   am Mittwoch den 2. Januar 1878
     Donnerstag den 3. Januar 1878
      Freitag den 4. Januar 1878
              und
      Sonnabend den 5. Januar 1878
     von 8-12 Uhr Vormittags im Geschäftslocale der Anstalt auszahlen.
Schönberg den 15. December 1877.

Das Directorium.     


Zum bevorstehenden Antoni=Termine suche ich gegen hypothekarische Sicherheit in ein hiesiges Grundstück die Summe von

M. 1500

zu zeitgemäßem Zinsfuße.
Schönberg, im December 1877.

E. Wohlfahrt,     
Advocat.        


Nach langem schweren Leiden entschlief heute Mittag 12 Uhr unser lieber Vater der Kaufmann Carl Schwedt in seinem 51. Lebensjahre; tief betrauert von den Hinterbliebenen.
Schönberg, den 24. Decbr. 1877.

M. Schwedt, geb. Dübrock nebst Kindern.

Die Beendigung findet am Freitag Nachmittag 2 Uhr statt.


Männer-Logo MännerturnvereinTurnverein
Weihnachts=Feier
am
Donnerstag, den 27. December d. J.,
Anfang 6 1/2 Uhr,
im Saale der Frau Gastwirthin Boye.

Programm:
l. Moritz Schnörche oder:
Eine unerlaubte Liebe.
Schwank in 1 Akt.
2. Das schöne Geschlecht.
Posse mit Gesang in 1 Akt.
Nach der Verstellung                          
Ball
wozu alle Mitglieder freundlichst eingeladen werden.

Einführung findet statt, und sind Eintrittskarten für Nichtmitglieder bis zum 26. d. M. bei uns und am Ballabend an der Kasse zu haben.
Schönberg, den 20. December 1877.

Der Vorstand.     


[ => Original lesen: 1877 Nr. 101 Seite 3]

Gusseiserner Ofen
Zu außerordentl. billigen Preisen.
Gußeiserne Oefen
in großer Auswahl,
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in allen Größen,
Gußeis. Stall=, Keller= und Dach=Fenster,
Dachpappen, Drathstifte etc. etc.
empfiehlt
Heinr. Pagels, Lübeck,
Magazin für vollständige Haus= und Küchen Einrichtungen.


[ => Original lesen: 1877 Nr. 101 Seite 4]

Umstände halber:
Gänzlicher Ausverkauf
meines Seiden=Manufactur= u. Confections=Lagers
Johannes Stöver, Lübeck,
Breitestraße 795.
gegenüber Düffcke's Hotel.


- Fächer! - Schmucksachen! - Parfümerien! -
Otto Wittcke, Lübeck,
951 Breitestraße 951, gegenüber dem Rathhause,
hält sein auf das
=beste assortirte Lager in =
Galanterie= und Lederwaaren
aller Art zu theilweise herabgesetzten Preisen, zu Wehnachts=Einkäufen bestens empfohlen.


Bei allen katarrhalischen Leiden,

wie Husten, Heiserkeit, Grippe, Hals= und Brustschmerzen, Verschleimung, Rauheit, Kitzel oder Kratzen im Halse, Krampf=, Keuch= und Stick=Husten, selbst bei beginneden Kehlkopf= und Lungen=Leiden wirkt der seit bereits 17 Jahren weltbekannte L. W. Egers'sche Fenchelhonig reizmildernd und besänftigend, er befördert auffallend den Auswurf des zähen stockenden Schleimes und vermindert die Husten=Anfälle, auch wird der so unangenehme Reiz oder Kitzel im Kehlkopf sehr bald dadurch gehoben und mit ihm die häufigste Ursache der fatalen Schlaflosigkeit. Um nicht durch eine der zahlreichen Nachpfuschungen dieses bewährten Mittels hinter's Licht geführt zu werden, wolle man sich merken, daß der L. W. Egers'sche Fenchelhonig kenntlich an Siegel, Facsimile, sowie an der im Glase eingebrannten Firma von "L. W. Egers in Breslau" allein echt zu haben ist in Schönberg bei Buchbinder C. Sievers.


Neue Messina-Apfelsinen
empfiehlt                          
Aug. Spehr.
Schönberg.


     Vanille=Chocolade,
     Gewürz=Chocolade,
     Puder=Chocolade,
     mit allem Cacao's
          empfiehlt sich
                    J. Ludw. D. Petersen.


Während der Festzeit                                                    
Bock=Bier vom Faß.
bei                                                     Boye.


Tesch's Restauration.
An beiden Weihnachtstagen

Bock=Bier vom Faß.


Mittwoch, den 26. December
als am 2. Weihnachtstage
große Tanzmusik,
wozu ergebenst einladet                                                    
Schlutup.                                                    H. Ebell.


Gesucht wird zu Ostern ein

Lehrling,
der Lust hat Stellmacher zu werden.
                                                    H. Badstein,
                                                    Stellmachermeister.


Getreide=Preise in Lübeck.
Waizen17 M 7Pfennig  bis 21 M -Pfennig.
Roggen12 M 50Pfennig  bis 14 M 50Pfennig.
Gerste15 M -Pfennig  bis 16 M -Pfennig.
Hafer12 M -Pfennig  bis 14 M -Pfennig.
Erbsen14 M -Pfennig  bis 17 M 50Pfennig.


Markt=Preise in Lübeck.
Butter pr. 500 Gr. M1,25 .
Hasen d. St. M3 .
Fette Enten d. St. M1,90 .
Hühner d. St. M1,40 .
Kücken d. St. M0,80 .
Tauben d. St. M0,50 .
Gänse 500 Gr. M0,90 .
Eier 4 St. für M0,30 .
Kartoffeln pr. 10 Lit. M0,60 .
Spickgans d. St. M3 .


(Hiezu eine Beilage.)


Redigirt, gedruckt und verlegt von L. Bicker in Schönberg.


[ => Original lesen: 1877 Nr. 101 Seite 5]

2. Beilage
zu Nr. 101 der Wöchentlichen Anzeigen für das Fürstentum Ratzeburg.
Schönberg, den 25. December 1877.


Verrathen.
Criminal=Erzählung von Ottomar König.
(Fortsetzung.)

[ => Original lesen: 1877 Nr. 101 Seite 6]

Verrathen.
Criminal=Erzählung von Ottomar König.
[Fortsetzung.]


- Ein neues Sprengmaterial. Dynamit gilt bekanntlich bis jetzt als einer der furchtbarsten und wirksamsten Sprengstoffe. Wie die Londoner belletristische Wochenschrift "Mayfair" hört, ist indeß vor Kurzem ein noch verwüstenderes Sprengmittel entdeckt worden. Die neue Substanz wird "Spreng=Gallert" genannt, weil sie große Aehnlichkeit mit dem aus Kalbsfällen gewonnenen Gallert besitzt. Es ist die Erfindung desselben Herrn, dem die Welt für die Entdeckung von Dynamit verpflichtet ist. Dynamit ist eine mechanische Mischung, welche 75 pCt. Nitro=Glycerin und 25 pCt. einer absorbirenden Erde enthält. Ein Fehler des Dynamit ist, daß, wenn es feucht wird, das Nitro=Glycerin und die absorbirende Erde sich von einander scheiden. Der Gallert, welchen Mr. Nobel neuerdings erfunden hat, besteht aus 94 oder 95 pCt. Nitro=Glycerin und 6 oder 7 pCt. Collodien=Baumwolle, so gemischt, um die Form einer gallertartigen Substanz anzunehmen. Es ist zähe, kann aber zu Patronen oder Kugeln verarbeitet werden und es kann leicht mit Messer oder Scheere zerschnitten werden. Auch heißt es, daß es nicht im mindesten Grade der Ausschwitzung ausgesetzt ist; ebenso ist es undurchdringlich gegen Wasser, welches keine seiner explosiven Eigenschaften vernichtet. Es wird in derselben Weise wie Dynamit entzündet, ist aber wenigstens 50 pCt. stärker.
- Am Fuße des Gargano in Apulien wollten die Leute einen Brunnen graben und stießen mit dem Grabscheit auf eine Stadt. Es war die uralte Stadt Sipontum bei Arpinum, welche in Folge starker Erdbeben versunken ist und von welcher die alten römischen Geschichtsschreiber viel erzählen. Die Stadt liegt 6-7 Meter unter dem bebauten Boden und bis jetzt hat man einen Dianentempel, mehrere Säulenhallen, einen Beerdigungsplatz etc. aufgefunden.
- Die Erlanger mögen nichts mehr von dem alten schönen Handwerksburschenlied hören: Gott grüß' Dir', Bruder Straubinger! Haben sie es in diesem Jahre 1877 auch nicht 8000mal siegen hören, so haben doch 8000 Handwerksburschen auf ihrer Wanderschaft bei ihnen angeklopft und jeder derselben hat von dem dort bestehenden Verein 20 Pfennig erhalten. Das macht 20 mal 8000 Pfennig, und wenn es keinen Verein gäbe, leichtlich das Zehnfache.
- Merkwürdig, daß der Amerikaner Slade, der in Berlin Klopfgeister citirte und ähnlichen Hokus Pokus trieb, noch immer in Berlin Gläubige findet. Daß der Mann sein Handwerk versteht, geht aus der Thatsache hervor, daß ein so geschickter Taschenspieler wie Bellachini von ihm angeführt wurde, weniges öffentlich erklärt hat, Slade's Kunststücke seien ernst zu nehmen und gäben den gelehrten Stoff zu wissenschaftlichen Untersuchungen. Der bekannte Physiker Böttcher aber, ein Mann von scharfem Blick und klar denkendem Geist, hat Slade geradezu einen Schwindler genannt.
- In der Karmeliter=Karserne in Frankfurt hat sich ein Soldat um Mitternacht auf seinem Posten erhängt.
- Der Geiz ist ein Räthsel; wer löst es aber auf? Das Leben und der Tod eines wohlhabenden Mannes in Stade drängt diese Frage wiederum auf. Dieser schon bejahrte Mann besaß ein baares Vermögen von 50,000 Mark und außerdem Haus und Hof schuldenfrei. Er lebte jahrelang sammt seinem einzigen Sohn nur von Brod und Kartoffeln und da seine Gesundheit darunter litt, so suchte er für sich und seinen Sohn Unterkunft in einer billigen Pension. Man verlangte jährlich 300 Thlr.; da erklärte er, er gehe lieber ins Wasser, ehe er so viel Geld gebe. Man lachte, er hielt aber Wort. Am andern Tage fischte man seine und seines einzigen Kindes Leiche im Burggraben auf, seinem Kinde hatte er einen Stein an den Hals gehängt.
- Die blaue Farbe und der Wahnsinn. Vor einigen Tagen machte eine Nachricht durch die Tagespresse die Runde, daß es möglich sei, Geistesskranke. wenn man solche in ein mit blauen Scheiben versehenes Zimmer bringe, zu heilen. Vornehmlich sollen Tobsüchtige sofort unter dem Einflusse des blauen Lichtstrahls sich beruhigen. Die Nachricht, welche aus Italien nach Deutschland gedrungen war, fand bei der medicinischen Welt keinen Glauben, und schwamm als Zeitungsente wieder in das Meer der Vergessenheit zurück. An der Sache war aber doch etwas Wahres, ja sogar viel Wahres. Im Octoberhefte der Zeitschrift of menalt science theilt der dirigirende Arzt der Irrenanstalt zu Maidstone in der Grafschaft Kent in England, Dr. Davies, mit, daß er eine Anzahl von Zimmern seit einigen Jahren mit blauen Fensterscheiben versehen habe und darin eine größere Anzahl von Tobsüchtigen behandle. Bei vielen derselben war die Wirkung eine staunenswerth rasche und merkwürdige, indem bei allen Denjenigen, bei welchen eine Wirkung eintrat, solche schon am dritten Tage, nachdem sie in das betreffende Zimmer gekommen waren, bemerkbar wurde. Wahnsinnige, welche sich stets verunreinigten, verlangten, nachdem sie drei Tage im blauen Zimmer waren, in der vernünftigsten Weise Wasser zum Reinigen, was sie sonst nie gethan und waren ganz erstaunt darüber, daß sie seither so schmutzig gewesen. Tobsüchtige, welche alles zerschlugen, bedauerten vom dritten Tage ihres Aufenthaltes im blauen Zimmer an ihre Unarten. Hysterische Mädchen, welche an Geistesschwäche und Krämpfen litten, verloren dieselben im blauen Zimmer. Dr. Davies machte außerdem die eigenthümliche Bemerkung, daß stets am dritten Tage, wenn der kritische Moment der Besserung eintrat, die Patienten bedeutend über Stirnkopfschmerzen klagten, was jedoch vorübergehend war; mit dem Eintritt der Kopfschmerzen trat auch Besserung der Geistesstörung ein. Seit einiger Zeit werden auch in Deutschland derartige Einrichtungen benutzt, so zum Beispiel in der Erlenmeyer'schen Heilanstalt in Bendorf bei Coblenz.


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