No. 90
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Dienstags und Freitags

Schönberg, den 21. November
1865
fünfunddreißigster Jahrgang
Preis vierteljährlich 20 Schilling (Mecklenburg) jährlich 1Mark (Lübeck) 32Schilling (Mecklenburg).
Jahrgang
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[ => Original lesen: 1865 Nr. 90 Seite 1]

In Folge des hohen Regiminal=Rescripts de 7. November c., betreffend die Armenarzenei=Rechnungen, werden die Ortsvorstände hiedurch erinnert, Sorgfältiger, als bis jetzt geschehen, dahin zu sehen, daß die Kurscheine nicht an Leute ertheilt werden, welche ihren Vermögensverhältnissen nach keinen Anspruch auf dieselben haben.
Schönberg, den 12. November 1865.

Großherzogl. Mecklenb. Landvogtei des Fürstenthums Ratzeburg.
F. Graf Eyben. C. L. v. Oertzen. Seip.


- Die Anzeichen mehren sich, daß vorläufig nicht an eine Einverleibung Schleswig=Holsteins in Preußen zu denken ist, ja es fehlt sogar nicht an Andeutungen, daß man sich in Berlin jetzt wieder mit der Erfüllung der Februarforderungen begnügen werde. Was kann das Ministerium Bismarck zu solchem Schritte bewogen haben? Es giebt hierfür wohl nur einen Grund: die Besorgniß vor dem Auslande. In der halb officiellen "France" erklärt das Tuileriencabinet, daß Frankreich, falls andere Großmächte das europäische Gleichgewicht zu ihrem Nutzen umstürzen wollten, genöthigt sei, seine defensive Stellung zu befestigen, Vorsichtsmaßregeln zu treffen und auf seine eigene Sicherheit bedacht zu sein, indem es das europäische Gleichgewicht wieder herstelle. Darin liegt eine unverkennbare Drohung gegen Preußen bezüglich seiner Absichten auf die Herzogthümer.
- Die Mitgift der Braut S. H. des Herzogs Wilhelm von Mecklenburg=Schwerin, der Prinzessin Alexandrine von Preußen, K. H. besteht in einer Herrschaft in Schlesien, und außerdem in 7 Millionen Thalern, doch soll diese Summe einen eisernen Bestand bilden, von dem nur die Zinsen verausgabt werden können.
- Kaiser Napoleon gibt seinen Herren Brüdern auf den Thronen Europas ein glänzendes Beispiel. Er verringert die französische Armee um 1800 Offiziere und 42,000 Mann und entlastet das Budget dadurch um 40-50 Mill. Franken. Das betreffende kaiserliche Decret soll unterzeichnet sein.
- Vielleicht bereut es Herr v. Bismarck, daß er Oesterreich den Rath gegeben hat, seinen Schwerpunkt nach Ungarn zu verlegen. Die Ungarn sehen es sehr gerne, daß sie der Schwerpunkt Oesterreichs werden sollen, daß aber Oesterreich deshalb seinen Einfluß in Deutschland aufgeben müsse, daran denken sie nicht. Im Gegentheil. Ungarn will zwar ein selbständiges Königreich unter der Garantie seiner vollkommen constitutionellen Verfassung sein; es will aber "den König von Ungarn zugleich an der Spitze eines geeinigten deutschen Reiches sehen, in welches sämmtliche Staaten des deutschen Bundes eintreten."
- Die Ungarn glauben schon das Heft Oesterreichs in der Hand zu haben. Als man neulich Franz Deak, einen der einflußreichsten Führer über seine Ansicht fragte, antwortete er warnend: In meiner Jugend kannte ich einen Pfarrer, der es liebte, nach Tisch gern längere Zeit sitzen zu bleiben. Der Küster läutete ihm daher immer zu früh, und wie oft er dagegen protestirte, es wurde immer zu früh geläutet. Endlich starb der alte Küster, es kam ein neuer an seine Stelle, und als dieser um Verhaltungsregeln bat, gab ihm der Pfarrer die einzige Instruction: Nur nicht zu früh läuten! - weder zum Sturm, noch zum Tedeum! setzte Deak hinzu.
- Das neue österreichische Anlehen ist in Paris mit Fould, Mallet etc. abgeschlossen. Es beträgt 245 Millionen Franks, Emissionspreis 66, Zinsfuß 5 Proc., Provision 2 Proc. Das Anlehen ist steuerfrei und in 37 Jahren rückzahlbar.
- Aus Mexiko sind nach Wien mehrere Officiere der österreichischen Legion zurückgekehrt, welche den Dienst quittirt haben. Ihr Urtheil lautet dahin, daß sich ohne französische Hülfe Kaiser Max nicht einen Monat halten kann. Die Unzufriedenheit unter den europäischen Truppen ist allgemein und von der Popularität, welches das Kaiserpaar Anfangs genoß, keine Spur mehr.
- Schäfer Thomas ist von Herrn Backer übertroffen. Dieser italienische Prophet weiß ganz gewiß, daß die Welt am 20. September 1878 untergeht und zwar genau um 5 Uhr 30 Min. Abends. Die Ereignisse, welche dem Untergange vorausgehen, sind folgende: 1867 zweite Invasion Italiens - 1868 Abdankung der Königin Victoria - 1869 Griechenland wird österreichisch, die Türkei russisch - 1872 Kaiser Alexander von Rußland stirbt in einer Schlacht in Palästina - 1873 Pest und Hungersnoth - 1875 ergreifen die Juden Besitz von dem gelobten Lande und in demselben Jahre (am 10. März) erscheint der Antichrist und kämpft mit Napoleon. Bei diesem Zusammmenstoße stürzt die Napoleonische Herrschaft und die mit dem Antichrist verbündeten Engländer erobern Paris. Schließlich Sonnenfinsternisse, Orkane etc. Am 1. September 1878 wird das erste Signal zur Erscheinung des Weltenrichters gegeben, und am 20. September wird der Richter vom Oelberg herabsteigen und die Lebendigen und Todten richten.
- Auf der Postconferenz in Carlsruhe, auf der auch die beiden Großherzogthümer Mecklenburg vertreten sind, wurden u. A. Anträge auf Ermäßigung der Postgebühr für Zeitungen und Journale, sowie für Nachnahmesendungen eingebracht.
- Der Kutscher eines Lübecker Kaufmanns ließ seinen mit zwei Pferden bespannten Wagen an der Trave längere Zeit stehen, während er selbst in

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ein Haus gegangen war. Die Pferde wurden unruhig und liefen endlich davon, kamen aber dem Ufer der Trave so nahe, daß der Wagen das Gleichgewicht verlor, in's Wasser fiel und seine Schwere die beiden Pferde mit sich zog. Ein's der Pferde ertrank bei dieser Gelegenheit.
- Ein alter Tischlergeselle in Berlin spielte ein Viertel=Loos, sah aber die letzte Ziehungsliste nur flüchtig durch und meinte, daß er nichts gewonnen habe. Wie er sein Loos zur folgenden Ziehung erneuern will, eröffnet ihm der Collecteur, daß seine Nummer mit 40,000 Thalern gezogen sei.
- In Newyork starb vor einigen Wochen ein alleinstehender reicher Fabrikant, John Chase, der sein ganzes großes Vermögen von 5 Mill. Dollar seinen 400 Arbeitern testamentarisch vermachte.
- Als ich vor einiger Zeit hörte, daß einem Hausknechte ein Fuß abgenommen werden mußte, weil beim Ausschneiden der Hühneraugen zu tief geschnitten worden war, faßte ich den Entschluß, ein einfaches und viel erprobtes Mittel an die Oeffentlichkeit zu bringen. Hier folgt es. Ein Epheublatt aus dem Walde, nicht Zimmer= oder Gartenepheu, wird 24 Stunden in scharfen Essig gelegt und dann auf das Hühnerauge gebunden und dies alle 3-4 Stunden mit einem frischen Blatte erneuert, so lange, bis sich das Hühnerauge herauszieht. Es ist gut, vorher einige Fußbäder zu nehmen, um die harte Haut zu erweichen.
- Die Münchener sind durch einen Vogel, der den Max im Freischütz wunderschön singt, angenehm überrascht worden. Dieser Vogel war vor Kurzem noch Schullehrer und seine prachtvolle Tenorstimme wäre wahrscheinlich verkümmert, wenn sie nicht zufällig von einem Kenner entdeckt und zu seinem und des Hoftheaters Besten im Stillen ausgebildet worden wäre.
- In dem hübschen Buche von Perty: "Ueber das Seelenleben der Thiere", findet sich ein seltenes Beispiel von scharfsinniger Combinationsgabe bei einem Hunde. Ein Hund auf einem schottischen Dorfe hatte vorzüglich die Hühner des Pachthofes zu bewachen, welche er muthig gegen Füchse, Wiesel u. s. w. vertheidigte. Jeden Abend steckte er seinen Kopf in das Loch des Hühnerstalles und zählte die Häupter seiner Lieben, ob keines fehle. Eines Tages aber verkaufte der Pächter drei Hühner an einen fremden Händler, während der Hund gerade nicht da war. Am Abend steckte nun dieser, wie gewöhnlich, seinen Kopf durch das Loch und fand seine Schützlinge zu seinem großen Verdruß nicht vollzählig. Wie ein Blitz rennt er darum fort aus dem Dorf, trifft eine englische Meile davon den Händler, wirft ihn über den Haufen, ergreift auf seinem Karren den Korb mit den drei Hühnern und jagt damit triumphirend zurück. Der Pächter, der ihn erstaunt mit den Hühnern zurückkommen sah nahm sich vor, künftig keine Hühner mehr zu verkaufen, ohne seinen Hund davon in Kenntniß zu setzen.
- Ein Beispiel von ganz ungewöhnlicher Stärke wird von einer schwedischen 19jährigen Bauerdirne, welche bei dem Hofbesitzer N. in Andersen in Reestruch dient, erzählt. Sie hatte mit einem Knechte die Wette eingegangen, eine Tonne Roggen von Reestruch nach Helsingör, eine Wegstrecke von anderthalb Meilen, in vier Stunden zu tragen, und diese Wette wurde am 18. October ausgeführt. Nachdem sie eine Tonne Roggen, von 13 Lpfd. dänisch Gewicht (208 preuß. Zollpfund) auf ihre Schulter gehoben hatte, machte sie sich Morgens 6 Uhr, von dem Knechte begleitet, auf den Weg und legte die erste halbe Meile, ohne zu rasten, zurück und den Rest des Weges machte sie nur mit kurzen Unterbrechungen und langte Morgens um 9 1/2 Uhr in Helsingör an. Sie hatte somit die Wette und den Werth der Tonne, 6 Thlr. 3 Sch. dän. R.=M., gewonnen.
- Vor der Strafkammer zu Celle in Hannover kam ein sehr ergreifender Fall zur Verhandlung. Der Hauswirth B. aus Lutterloh, etwa 26 Jahre alt, war beschuldigt, an seinem alten Vater, Altentheiler B., sich thätlich vergriffen zu haben. Die Verhandlung lüftete den Schleier von einem Familiengemälde, wie es wahrlich nicht trauriger gedacht werden kann. Es ward bezeugt, bezüglich zugestanden, daß der Sohn dem Vater in die Haare gefaßt habe, ihn auf den Feuerheerd geworfen, ihn mit einer Karre geknufft, ja ihm in's Gesicht gespien habe. Beide hatten einander gegenseitig angespien! Bei einer dieser Thätlichkeiten war dem Vater ein Zahn im Munde losgebrochen. Der Vater hatte Klage erhoben. Rührend aber war es anzusehen, mit welcher Miene väterlicher Liebe heute in der Verhandlung der Vater erklärte: "Ich verzeihe meinem Sohne; ich nehme meinen Strafantrag zurück." Bewegt setzte er hinzu: "Ich bin gegen ihn auch kein Engel gewesen!" Diese Zurücknahme war jedoch wirkungslos, da bekanntlich thätliche Injurien gegen die eignen Eltern gesetzlich von Amts wegen zu strafen sind. Auf Eröffnung, daß es ihm frei stehe, gegen seinen Sohn nicht zu zeugen, erklärte er mit freudiger Entschiedenheit: "Ich werde nicht gegen ihn zeugen!" In keinem seiner Worte war sein fast überwallendes Gefühl zu verkennen. Aber auch auf den Sohn blieb die Verhandlung nicht wirkungslos. Mit einem Ausdrucke, als stände er nicht vor dem weltlichen Strafgerichte, sondern etwa vor seinem Beichtvater, sagte er zum Präsidenten in höchster Erregung und mit zitternder Stimme: "Nie, nie wird es wieder vorkommen! Es soll und wird anders werden!" Das Gericht erkannte auf vier Wochen Gefängniß.


Eine Razzia gegen Berliner Bauernfänger.

Der bekannte socialpolitische Schriftsteller Dr. Gustav Rasch veröffentlicht unter dem Titel: "Berlin bei Nacht", eine Reihe Skizzen über das nächtliche Treiben der Verbrecherwelt in der Hauptstadt Preußens. Wir entnehmen denselben folgende Schilderung einer nächtlichen Fahrt, die der Verfasser in Begleitung eines Kriminalkommissairs unternahm: "Wissen Sie, was der Ausdruck "Bauernfänger" bedeutet?" fragte mich der Kriminalkommissarius, als wir durch die lange neue Friedrichsstraße fuhren, um nach dem Oranienburger Thore zu gelangen. Die "Bauernfänger" bilden eine ganz neue Klasse von Verbrechern, welche sich in Berlin seit den letzten 10 Jahren herangebildet hat." - "Nein, ich kenne den Ausdruck nicht. Er kommt mir heute zum ersten Male vor." - "Ihnen ist wohl nur das Wort nicht bekannt. Die Bauernfänger sind professionirte Spieler, welche ihr Geschäft als Wegelagerer betreiben. Sie haben unter sich wohlorganisirte Verbindungen, welche sich wiederum in besondere Klassen theilen, von denen jede ihre bestimmte Aufgabe hat. In bestimmten Spelunken treffen sie sich, um ihre Razzias für den folgenden Tag zu berathen. Gewöhnlich sind dies "nächtliche Konditoreien" oder kleine Restaurants und Delikatessenkeller. Die Zeit der Vorberathungen ist spät in der Nacht oder auch Früh, um 2 oder 3 Uhr Morgens, wenn die Musik und der Tanz in der "Musenhalle", in "Spieß' Salon", im "Orpheum," in der "Friedrichsstädtischen Halle", im "Ballhause" zu Ende ist. Am andern Morgen vertheilen sie sich dann in den Hauptstraßen und auf den Hauptplätzen der Stadt, in den vornehmsten Konditoreien und Restaurants, in den Frühstücksstuben, auf den Spaziergängen im Thiergarten und Abends in den Theatern. Hier knüpfen sie besonders mit Fremden und Provinzbewohnern Bekanntschaften unter allerlei Vorwänden an, um ihnen die Stadt und ihre Merkwürdigkeiten zu zeigen, um sie umherzuführen und sie schließlich zu irgend einem guten Restaurant zu geleiten. Die erste Klasse von Bauernfänger nennt sich die "Schlepper", weil sie ihre Opfer, welche sie mit dem Namen der "Freier" bezeichnen, ihren Genossen zuführen. Sie haben bestimmte Restaurants - oft Hotels und Weinstuben ersten und zweiten Ranges - wo sie bereits von einer anderen Klasse ihrer Verbindung, den "Habsburgern" erwartet werden. Die Habsburger sitzen dort am Tische, frühstücken oder Speisen zu Mittag oder zu Abend. Wie zufällig setzen sie sich nun mit ihren

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Opfern an denselben Tisch. Die Habsburger sind die zum Schein pointirenden Helfershelfer, welche bereits unter sich ein Kartenspiel, welches man das "Kümmelblättchen" nennt, spielen oder beginnen, sobald die "Freier" am Tisch Platz genommen haben. Die Habsburger fordern die Schlepper auf, sich an dem Spiel zu betheiligen; der Fremde wird, nachdem er gegessen und getrunken hat, wie zufällig gebeten, auch einmal zu setzen. Wie könnte er es dem liebenswürdigen und gefälligen Manne, der ihm bereits mehrere Stunden seiner Zeit geopfert hat, abschlagen? Man zeigt ihm bereitwilligst die Art und Weise des Spiels, man läßt ihn zweimal, dreimal gewinnen; bald sind alle untereinander bekannt, das Spiel ist im vollen Gange; nach und nach wird höher pointirt, und das Ende der Sache ist, daß der Fremde mit leerem Beutel die Weinstube verläßt. Dann theilen sich die Schlepper und die Habsburger in den Gewinn, um dasselbe Geschäft an einem andern Orte zu wiederholen. Oft nimmt die Plünderung auch einen ganz anderen Charakter an. Am Vormittage werden nur Bekanntschaften geschlossen, der "Freier" befindet sich bald in einer Gesellschaft neuer Freunde; er ist froh, in der großen Stadt, wo er Niemand kennt, so liebenswürdige Bekannte gefunden zu haben; es wird eine Ausfahrt oder ein Abendessen in irgend einem Delikatessenkeller arrangirt, und die Plünderung beginnt dann unter einer anderen Form und zu anderer Zeit. Daß das "Kümmelblättchen" immer in betrügerischer Weise gespielt wird, brauche ich wohl nicht zu sagen." - "Aber, aus was für Personen bestehen denn die "Bauernfänger"; merkt der Fremde nicht, daß er sich unter Gaunern befindet?" - O, nein, sobald nicht. Sie sind gut gekleidet, haben Formen und Manieren, geben sich für Beamte, Rentiers, Gutsbesitzer aus, wie es sich für die Individualität des Opfers paßt; sie spielen bloß, um sich die Zeit zu vertreiben oder eine Unterhaltung zu haben. Vor einigen Wochen kam ein Kreisgerichtsrath aus der Provinz zu mir; er beklagte sich, daß die Bauernfänger seinem Sohne, einem Oekonomen, der sich in Berlin aufgehalten habe, mehrere hundert Thaler abgenommen hätten. Er hatte seinem Sohne die Geschichte so recht nicht glauben wollen und meinte, daß der Junge den Betrug doch hätte merken müssen. Vor einigen Tagen kam er nun wieder zu mir. Er war beim Mittagessen in einem Gasthofe ersten Ranges, ebenfalls ohne es zu merken, einigen Schleppern in die Hände gefallen, und man hatte ihm am Abend beim "Kümmelblättchen" einige zwanzig Friedrichsd'or abgenommen." Ich lachte unwillkürlich. "Nehmen Sie sich in Acht," sagte der Polizeibeamte; wenn Sie überhaupt spielen, kann es Ihnen vielleicht morgen ebenso ergehen. Manche dieser Hallunken sehen ganz aus wie vornehme Leute, oft waren sie es auch. Ich kenne unter den "Schleppern" Adelige mit Barons= und Grafentitel, welche ihr Vermögen vergeudet haben und jetzt nur von dem "Kümmelblättchen" leben. Die Zahl der Bauernfänger beläuft sich in Berlin auf Tausende. Sie treten unter allen Gestalten und Formen auf, plündern den Handwerksburschen, der von Charlottenburg nach Berlin zu Fuß geht, um die 6 Dreier für die Omnibusfahrt zu ersparen, im Thiergarten, und den reichen Gutsbesitzer, der seine Wolle zu Markte führt, in den Delicatessenkellern am Alexanderplatz bei Rheinwein, Austern und Champagner. Niemand ist vor ihnen sicher. Die schweren Diebstähle sind seit den letzten zehn Jahren in Berlin fast ganz verschwunden; die Plünderung durch das Spiel ist gefahrloser und lohnender, als der Einbruch. Im verflossenen Jahre sind an die 30,000 Thaler bei der Kriminalpolizei angemeldet worden, welche die Bauernfänger in ungefähr neun Monaten ihren Opfern abgenommen haben. Und meistens wenden die Betrogenen sich gar nicht einmal an die Polizei. Das Geld ist ja doch nicht wieder zu erhalten, und Niemand macht sich gern Laufereien, Termine auf dem Polizeiamt und derartige Weitläufigkeiten." Wir waren während des Gesprächs an der Weidendammbrücke angekommen. Die Fenster eines Delikatessenkellers, der nach der Seite des Wassers seinen Eingang hatte, waren noch hell erleuchtet. "Sehen Sie dorthin", sagte der Kriminalkommissarius, der Keller dort ist ein berüchtigter Rendezvousort der Bauernfänger; sie nennen ihn den Trichinenkeller. Sieh' mal an, hat der Kerl noch Licht. Aber steigen wir aus. Wir sind mitten auf dem Schauplatze unserer nächsten Thätigkeit angekommen. Lassen Sie die Droschke nur fahren, Bredow, wir bedürfen des Wagens nicht mehr." Der Kutscher fuhr langsam die Friedrichsstraße aufwärts nach den Linden zu. Wir nahmen unsern Weg am Wasser entlang nach dem Trichinenkeller. "Aber weshalb soll der Wirth des Kellers kein Licht haben?" fragte ich. - "Licht kann er haben", erwiderte der Kriminal=Polizeibeamte. "Ob er Licht hat oder nicht, geht uns nichts an. Aber Gäste soll er nach zehn Uhr nicht mehr haben. Ich sagte ja schon, daß der Keller ein berüchtigter Rendezvousort für die Bauernfänger ist. Seit den letzten vier Wochen haben wir einmal recht tüchtig unter den Bauernfängern aufgeräumt. Zu dem Zweck ist den Besitzern der meisten Lokale und Spelunken, wo sie verkehren, polizeilich aufgegeben worden, bereits um 10 Uhr Abends ihre Lokale zu schließen. Auf diese Weise sind die nächtlichen Rendezvous fast ganz gestört worden, und eine Menge berüchtigter Lokale sind eingegangen. Hie und da haben wir eine Ausnahme gemacht, um uns selbst den Fang nicht zu verderben, so z. B. mit einer nächtlichen Konditorei hier in der Gegend. Um 3 Uhr wird das Geschäft dort wohl im Gange sein. Dann wollen wir eine Razzia vornehmen. Ich habe zu diesem Zwecke einige zwanzig Schutzmänner bestellt." Wir standen nun vor der Thür des Trichinenkellers. Sie war fest verschlossen. Der Konstabler klopfte mehrmals in geheimnißvoller Weise an. Aber die Thür öffnete sich nicht. Man war offenbar da drinnen auf derartige polizeiliche Besuche während der Nacht vorbereitet. Der Keller schien wie ausgestorben, kein Geräusch war vernehmbar. Der Kriminal=Polizeibeamte zog die Uhr. "Es ist bereits über zwei", sagte er, "lassen Sie uns gehen; ich war erst vor acht Tagen hier und wir würden, selbst wenn ich den Keller öffnen lassen wollte, schwerlich Bedeutendes finden. Desto reicher wird die Razzia in der nächtlichen Konditorei ausfallen.
Wir überschritten die Weidendammer=Brücke. Unheimlich rauschte der Fluß in der Tiefe. Er erschien dunkel und schwarz. Der Mond, der einigemale am Himmel zum Vorschein gekommen war, war wieder hinter den dunkeln Wolkenmassen, welche der Ostwind seit einer halben Stunde am Firmament zusammengetrieben hatte, gänzlich verschwunden. Unser Weg ging durch die breite Karlsstraße in die Schumannsstraße. "Um Ihnen einen Begriff zu geben, wie Niemand vor diesen Bauernfängern sicher ist, und wie weit sie ihr schändliches Gewerbe treiben," sagte der Kriminal=Kommissarius, als wir die Karlsstraße entlang gingen, "will ich Ihnen doch einen Fall erzählen, der gestern zu meiner Kenntniß gebracht wurde. Drei Bauernfänger hatten sich verbunden, auf dem Wege zwischen Charlottenburg und dem Spandauer Bock die vorübergehenden Handwerksburschen in ihre Falle zu locken. Und in der That, sie haben eine zeitlang dem eben nicht mit Reichthümern gesegneten "Bruder Straubinger" seinen Zehrpfennig mittelst des "Kümmelblättchens" abgenommen. Mitleidlos nahm das saubere Kleeblatt den armen Burschen nicht blos das Geld, sondern auch Uhren, Stiefel, Hemden, kurz jedes erreichbare Werthobjekt.
(Schluß folgt.)


Anzeigen.

Edictal=Ladung.

Auf Antrag des Hufners Julius Rumpf zu Seedorf, als Miterben und Bevollmächtigten weiter angemeldeter Erben des weiland Ackervogts Franz Heinrich Semplin und dessen gleichfalls ver=

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storbenen Ehefrau, Dorothea geb. Rumpf, werden Alle und Jede, welche an den Nachlaß der genannten Eheleute Semplin, insbesondere an eine zum Nachlaß gehörende, auf der Hufe des Hufners Hinrich Mirow zu Kl. Zecher radicirende Obligation über 100 Rthlr. N 2/3, d. d. 18. März 1823 und Cession vom 23. December 1843, erbrechtliche Ansprüche haben, Gerichtswegen geladen, solche, zur Vermeidung der Ausschließung mit denselben, am Dienstag, den 5. December d. J., Vormittags 10 Uhr, vor dem unterzeichneten Gericht in Ratzeburg anzumelden und zu bescheinigen. Diejenigen Erben, die sich bereits gemeldet haben, sind von dieser Anmeldungspflicht befreit, und wird der Präclusivbescheid lediglich im hiesigen Gericht affigirt werden.
Gericht Seedorf, Ratzeburg, den 2. Septbr. 1865.
(L. S.) Sachau.


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Dein Minus.


Institut für schwedische Heilgymnastik in Schwerin, Wismarschestraße 40.
In dieser Anstalt, welche im dritten Jahr hier besteht, werden chronische Krankheiten, theils innere, theils äußere, wie z. B. allgemeine und locale Lähmungen und Schwäche=Zustände, Unterleibsbeschwerden und mancherlei nervöse, hysterische und hypochondrische Affectionen, bei Behandlung von Asthma, Bleichsucht, Veitstanz, Scropheln, rheumatische Leiden u. s. w., sowie Gelenksteifheiten und Verkrümmungen des Rückgrats, Kopfes, der Kniee, Füße, Ellenbogen, Hände und Finger) mit dem besten Erfolge behandelt.
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Nur 1 Thaler oder 1 3/4 Gulden.
Jedes Loos gewinnt mindestens den siebenfachen Werth des Einsatzes.
Verloosung des Schwefel- & Schlammbades Fiestel bei Pr. Minden.
Ziehung am 15. April 1866.
Den ersten Hauptgewinn bildet das Bad Fiestel, bestehend aus einem Kurhause, 2 Logirhäusern, 2 Badehäusern, 2 Nebengebäuden, einem Maschinenhause und einem etwa 15 Morgen großen Kurgarten, mit sieben nie versiegenden Schwefel= und Schlammquellen.
Außerdem kommen viele Hundert andre werthvolle Gegenstände, als: elegante Equipagen, Pferde, Silbersachen und Doppel=Gewehre zur Verloosung.
Diejenigen Loose, welche gegenwärtig noch vorhanden, sind von dem Generalagenten Herrn J. Spanier in Wunstorf bei Hannover gegen franco Einsendung oder Postnachnahme von 1 Thlr pr. Loos zu begehen.
Pospecte gratis und franco.
Der Verwaltungsrath.


Spielwerke mit 4-36 Stücken, worunter Prachtwerke mit Glockenspiel, Trommel und Glockenspiel, mit Flötenspiel, mit Himmelsstimmen, mit Mandolinen; ferner Spieldosen mit 2-12 Stücken, Necessairen, Cigarrentempel, Photographie=Albums, Schreibzeuge und Schweizerhäuschen mit Musik, alles fein geschnitzt oder gemalt; Puppen in Schweizertracht mit Musik, tanzend, stets das Neueste empfiehlt J. H. Heller in Bern. - Franco. -
Defekte Werke oder Dosen werden reparirt.
Diese Werke, die mit ihren lieblichen Tönen jedes Gemüth erheitern, sollten in keinem Salon und an keinem Krankenbette fehlen.


Militair-Stellvertreter
für Hamburg werden fortwährend unter ganz besonders günstigen Bedingungen engagirt durch J. Hollander & Co., neust. Fuhlentwiete 9. in Hamburg.
Es wird gebeten, genau auf die Adresse zu achten.


Brönner's Fleckenwasser
namentlich zum Waschen der Glacé=Handschuhe, in Gläsern à 10 Schilling (Mecklenburg) und 4 Schilling (Mecklenburg) und in Weinflaschen à Taler (Mecklenburg) . - ächt bei C. Sievers im Sattler Bohnhoff'schen Hause.


Meteorologische Beobachtungen.
1865
Novbr
Barometer   Wärme   Wind Stärke  
Paris. Lin.
300 +
niedrigste
°R.
höchste
°R.
       
17.
18.
19.
20.
38.41
35.74
38.59
35.38
-0.1
1.9
2.4
1.3
4.5
4.5
4.5
5.5
OSO
ONO
SSO
SSW
1
0
0
0
heiter. *)
neb., bed. **
Neb., wolk.
Neb., wolk.

*) 37 Kubz. ** 45 Kubz. Regen auf einen Quadratfß.


Backtafel für die Stadt Schönberg
[Tabelle siehe im Abbild der Originalseite]
Schönberg, den 28. November 1865.
Bürgermeister und Rath.


Markt=Preise in Lübeck.
(Nach Angabe des Marktvogtes.)
Butter, Meckl. d. Pfund Pf.17 - 17 1/2Schilling (Mecklenburg),
Holst. d. Pfund Pf.17 1/2 - 18Schilling (Mecklenburg),
Karpfen d. Pfund Pf.10 - 12Schilling (Mecklenburg),
Eier 6 St. für4 Schilling (Mecklenburg),
Hasen, d. St.32 - 36 Schilling (Mecklenburg),
Enten, d. St.20 - 26 Schilling (Mecklenburg),
Hühner, d. St.10 - 12 Schilling (Mecklenburg),
Küken, d. St.6 - 8 Schilling (Mecklenburg),
Tauben, d. St.3 - 4 Schilling (Mecklenburg),
Gänse, d. Pfund Pf.7 - 8Schilling (Mecklenburg),
Kartoffeln, d. Faß.4 - 5 Schilling (Mecklenburg).


Getreide=Preise in Lübeck
Weitzen-Taler (Mecklenburg)72 - 80Schilling (Mecklenburg)
Roggen-Taler (Mecklenburg)52 - 56Schilling (Mecklenburg)
Gerste-Taler (Mecklenburg)44 - 46Schilling (Mecklenburg)
Hafer Taler (Mecklenburg)40 - 42Schilling (Mecklenburg)
ErbsenTaler (Mecklenburg)56 - 64Schilling (Mecklenburg)
WickenTaler (Mecklenburg)- -Schilling (Mecklenburg)
BuchweizenTaler (Mecklenburg)44 - 47Schilling (Mecklenburg)
Winter=RapsaatTaler (Mecklenburg)30 - 31Mark (Lübeck)
RübsenTaler (Mecklenburg)30 - 31Mark (Lübeck)
SchlagleinsaatTaler (Mecklenburg)20 - 21Mark (Lübeck)

Hamburger Viehmarkt. Schweine innerhalb der Accise 32-40 Mark (Lübeck) , außerhalb derselben 30-38 Mark (Lübeck) pr. 100 Pfund, Mastkälber 38-50 Mark (Lübeck) .


Herausgegeben unter Verantwortlichkeit der Buchdruckerei von L. Bicker in Schönberg.


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