No. 32
Die Anzeigen erscheinen wöchentlich zweimal.
Dienstags und Freitags

Schönberg, den 10. August
1857
siebenundzwanzigster Jahrgang
Preis vierteljährlich 20 Schilling (Mecklenburg) jährlich 1Mark (Lübeck) 32Schilling (Mecklenburg).
Jahrgang
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[ => Original lesen: 1857 Nr. 32 Seite 1]

An die Gemeinden des Fürstenthums Ratzeburg.

Es ist ein Werk der christlichen Liebe an den Heiden zu thun, welches die ganze Christenheit angeht, und zu welchem wir im hiesigen Lande auch billig unser Theil beitragen sollen. Es leben auf dem Erdboden noch an 600 Millionen Heiden, die Gottes Wort nicht haben, darum auch den lebendigen Gott nicht kennen und keinen Heiland haben, durch den sie könnten selig werden. Gott will aber, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntniß der Wahrheit kommen, und unser Herr Christus hat seiner Kirche den Befehl gegeben: "Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium allen Völkern." Diesen Befehl hat die Christenheit lange Zeit nicht beachtet, und dadurch eine schwere Schuld auf sich geladen, die sie abzutragen hat, damit sie nicht vor Gott verwerflich werde. Und sie hat den Anfang gemacht, sie hat sich erinnert des Befehls, den Heiden das Evangelium zu predigen, und auch in unsern deutschen Landen sind an vielen Orten Missions=Vereine gestiftet worden, welche nach Vermögen dafür sorgen, daß Missionare oder Heidenprediger unter die Heiden ausgesandt und unterstützt werden, damit sie in den Heidenländern leben und bestehen können, bis dort auch Christengemeinden gestiftet sind, die selbst für ihre Prediger sorgen können.
                        In der lutherischen Kirche besteht eine Missionsgesellschaft, welche jetzt zu Leipzig ihren Vorstand hat, und an welche besondere Vereine aus fast allen lutherischen Landeskirchen sich angeschlossen haben, welche dorthin ihre Beiträge jährlich einsenden und eine Stimme bei den größern Berathungen haben. Solche Vereine sind in unserer Nähe der im Herzogthum Lauenburg, der in Mecklenburg=Schwerin und der in Mecklenburg=Strelitz. Es ist ein großer Fortschritt in der Sache der Mission, daß die Vereine, welche zuerst blos von einzelnen Freunden der Mission gestiftet und unterstützt worden waren, sich nun schon so weit ausgebreitet haben, daß sie das Gebiet ganzer Landeskirchen umfassen, und es ist darin eine weise Leitung des Herrn zu erkennen, daß die Boten des Evangeliums zu den Heiden als Diener der Kirche kommen und die von unsrer evangelisch=lutherischen Kirche aus dem Worte Gottes erkannten richtigen Lehren und die von Gott geordneten Sacramente nach dem Wort der heil. Schrift zu den Heiden bringen.
                        Auch in unserm Lande war schon seit 1846 eine kirchliche Collecte vom Großherzoglichen Consistorio angeordnet, welche an den Neustrelitzer Verein und von diesem nach Leipzig gesandt wurde. Daneben wurden auch noch viele Beiträge von Einzelnen in den Gemeinden auf verschiedenen Wegen gesammelt und an andre Missionsvereine eingesandt.
                        Um nun alle diese Beiträge zu sammeln und unsern Gemeinden einen Weg zu eröffnen, durch welchen sie ihre Theilnahme an dem Werke der Mission gemeinsam bethätigen könnten, gingen wir schon lange mit dem Gedanken um, einen Missions=Verein für die Gemeinden unseres Landes zu begründen. In dieser Absicht traten wir unterzeichneten Pastoren des Fürstenthums Ratzeburg zusammen und richteten eine Bitte an das Großherzogliche Consistorium, die Gründung eines eigenen Missions=Vereins für unser Fürstenthum zu gestatten. Darauf erwirkte dieses bei der Allerhöchsten Landesregierung die Bestätigung der Statuten unseres Vereins, welche am 4. Juli d. J. erfolgte und nach welcher dieselben in dem Officiellen Anzeiger No. 14 abgedruckt sind.
                        Unser Allergnädigster Landesherr giebt diese Bestätigung unseres Vereines "als Seinen Landesherrlichen Absichten und Wünschen entsprechend!"
                        Demnach wenden wir uns an unsere lieben Gemeinden mit der Bitte, um ihren Beitritt zu dem Ratzeburger Missions=Verein. Dies wird außer den jährlichen Pfingstcollecten durch Beiträge zur Casse desselben geschehen können, wozu wir diese Aufforderung in den Gemeinden umhersenden. Auch ist es unsere Absicht, dies Werk mit einem öffentlichen Gottesdienst zu beginnen und deshalb am bevorstehenden 2. September zu Schönberg eine Missionsfeier zu veranstalten, wozu wir jetzt schon vorläufig einladen.

[ => Original lesen: 1857 Nr. 32 Seite 2]

                        Unsre Gaben und Beiträge werden jetzt vornämlich zur Unterstützung der lutherischen Mission zu Trankebar in Ostindien verwandt werden. Eine genauere Kenntniß dessen, was zur Bekehrung der ostindischen Heiden gethan worden ist und fortwährend geschieht, können wir leicht erlangen durch das Missionsblatt, welches zu Schwarzenbeck herauskommt: "Nachrichten aus und über Ostindien." Dort haben jetzt seit 150 Jahren lutherische Missionare, zuerst Ziegenbalg, dann seine Nachfolger gepredigt und unter den Tamulen einen Grund gelegt, welcher ist Christus.
                        Es ist zu hoffen, daß durch die kräftige Unterstützung der daselbst angefangenen, von Gott gesegneten Arbeit unter den Heiden sich auch über das ganze Tamulenland das Christenthum verbreiten werde. Wer die mündlichen Berichte des im vorigen Jahre unter uns weilenden Missionars Ochs, der in mehreren unsrer Gemeinden persönlich anwesend war, gehört und zu Herzen genommen hat, wird wissen, mit welcher Macht des Satans dort die Prediger des Evangeliums zu kämpfen haben, aber auch, wie sie durch Gottes Gnade fortwährend Sieg auf Sieg erringen. Wer nun von barmherziger Liebe zu den verfinsterten Menschenseelen durchdrungen ist, kann unmöglich gleichgültig bei dem Gedanken bleiben, daß so viele Millionen Seelen durch unsre Schuld verloren gehen müssen.
                        Lasset uns denn mit vereinten Herzen unsre dringenden, ernstlichen Gebete zum Herrn richten, daß er durch sein Wort und heiligen Geist zu ihrer Bekehrung wirken wolle und die Prediger segnen, welche dieser schweren Aufgabe sich unterzogen und dafür willig Leben und Gut und alle ihre Kräfte dargeboten haben. Lasset uns freudig auch thun, was in unsern Kräften steht und nicht müde werden, bis wir die Weissagung erfüllet sehen, daß die Erde voll werden wird von Erkenntniß der Ehre des Herrn, wie Wasser, das das Meer bedeckt.
                        Die Gnade des Herrn sei mit euch Allen.      Amen.

Die sämmtlichen Pastoren des Fürstenthums Ratzeburg:
CR. Genzken.     Reinke. A    rndt.     Pumplün.     Masch. Kaempffer.
Gerling.     CR. Rüdiger.     Rußwurm.     Teller.


Neustrelitz. Se. kön. Hoheit der Großherzog sind am 30. Juli von Potsdam in erwünschtem Wohlsein wieder hierher zurückgekehrt.
- Der Kaiser von Rußland ist bereits am 1. August wieder in Petersburg angekommen.
- Das französische Kaiserpaar wird seine Ueberfahrt nach der Insel Wight zum Besuch bei der Königin Victoria in der Nacht vom 5. auf den 6. Aug. bewerkstelligen. Beide ziehen die Nachtfahrt vor, weil sie sehr an der Seekrankheit leiden und derselben im Bette weniger ausgesetzt zu sein hoffen. Während der Anwesenheit des Kaisers wird eine starke Schaar französischer Polizeiagenten in dessen Nähe anwesend sein und eine strenge Schutzwache ausüben. Schon bei Havre, wenn das kaiserliche Paar die französische Yacht bestiegen, werden englische Kriegsschiffe ihnen entgegenfahren, um denselben die Honneurs zu machen.
Einem späterem Datum aus London vom 7. d. zufolge ist der Kaiser Napoleon mit der Kaiserin unter Escorte von zwei französischen Kriegsfahrzeugen am 6. d. in Osborne angelangt. Der Kaiser fiel, als er bei seiner Landung den Prinzen Albert begrüßte, vom Radkasten heftig auf das Deck, wobei er unbedeutend beschädigt wurde.
- In England fängt man an einzusehen und sogar einzugestehen, daß der Aufstand in Indien keine militairische Revolte, sondern eine nationale Erhebung ist. 23000 Mann sind als Verstärkung der englisch=ostindischen Armee bereits unterwegs, ferner beabsichtigt die Regierung zu demselben Zweck noch 10,000 Mann anzuwerben. Von England nach Calcutta brauchen die Schiffe 70 Tage; für jeden Tag weniger erhält jedes Schiff, das Soldaten bringt, 60 Pfund Sterling Belohnung, für jeden mehr 30 Pfund Strafe. Das Merkwürdigste ist, daß die neuesten Segelschiffe mit den Schraubendampfern um die Wette fahren. - In China haben die Engländer die chinesische Flotte auf dem Cantonflusse fast gänzlich zerstört. Der englische Capitain Keppler spielte dabei eine hervorragende Rolle. Die Engländer verloren dabei eine Schiff, das in den Grund geschossen wurde, und eine bedeutende Anzahl Todter und Verwundeter.
- Der General Hearsey schrieb in einem Privatbriefe aus Barrackpur unterm 16. Juni: Falls nicht bedeutende, sehr bedeutende Verstärkungen an britischen Truppen über Suez, die mit der Alexandria=Cairo=Eisenbahn nach Ostindien geschafft werden, und große Kohlenvorräthe nach Suez geschickt werden, um die Dampfer jederzeit mit Kohlen versehen und so die Truppen so rasch wie irgend möglich befördern zu können, so wird es uns sehr bös ergehen. Bringt das zur Kunde der englischen Nation, meinetwegen unter meinem Namen. Ich übernehme alle Verantwortung dafür.
- Aus Irkusk in Sibirien wird von einer seltsamen Epidemie berichtet. Ein Schlag im Unterleibe wie mit einem scharfen Instrument ist das erste Symptom, dann folgt Fieber, Halsanschwellung, Bluterguß im Gesicht und im Gehirn. Es sind Fälle vorgekommen, wo die von diesen Leiden Befallenen nach dem Schlage im Unterleibe unmittelbar starben.
- Die Ernteaussichten bleiben fortwährend die günstigsten, sie lauten nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus den Nachbarländern so günstig, daß man sich fast vor Uebertreibungen hüten muß. In vielen Weinstrichen wird ein Product wie das von Anno 11 erwartet; die Weinpreise sind überall im Fallen.
- In Trarbach an der Mosel ist das Feuer auf folgende Art entstanden: Die Kinder eines Schusters buken während der Abwesenheit ihres Vaters einen Pfannkuchen, den sie, als der Vater betrunken und scheltend die Treppe hinauf kam, schnell mit der glühenden Pfanne in Heu versteckten; einige Zeit nach dieser Unvorsichtigkeit schlug die Flamme empor und verbreitete sich mit ihrer verheerenden Macht.
- Nicht allein in Deutschland, sondern auch in England, Frankreich etc. hält der Wassermangel an, so daß viele Mühlen längst außer Thätigkeit gesetzt sind. Im Thüringschen wurde an manchen Orten das Wasser so knapp, daß der Ortsschulze für jeden Hausstand das nothwendigste Trinkwasser täglich vertheilte. Die Elbe ist seit dem Jahr 1590 nicht so niedrig im Wasser gewesen, wie in diesem Jahr. Bei Paris hat die Seine einen so niedrigen Stand wie seit 1719 nicht.


Das Unglück im Hauenstein.
(Schluß.)

Dienstag den 2. Juni war man mit den Ventilationsröhren bis zum Schuttkegel vorgedrungen. Die vier bis jetzt noch nicht aus dem Tunnel gebrachten verunglückten Retter waren aufgefunden.

[ => Original lesen: 1857 Nr. 32 Seite 3]

Man begann sofort die Durchbrechung des Schuttkegels. Die Arbeiter dabei mußten nach je einer halben Stunde abgelöst werden, glühender Schutt und mächtige Balken erschwerten die Arbeit sehr. Tags darauf, am Mittwoch Vormittag, glaubte man am Schuttkegel durchgegraben zu haben, da man auf einen großen leeren Raum stieß und starker Verwesungsgeruch daraus entgegendrang. Es war jedoch dem nicht also; im Innern des Schuttkegels hatten die herabgestürzten Balken sich so verrammt, daß es eine Höhle von 6 Fuß Tiefe bildete, und es blieb noch eine Strecke von 7 Fuß zu durchbrechen übrig. Um Mittag war der Durchbruch so weit vorgerückt, daß Leute ein= und aussteigen konnten. Aber gegen die jenseitige innere Tunnelabtheilung war die Luft so verpestet, daß man noch nicht vordringen konnte. Man rief den Verschütteten zu, kein Lebenszeichen erfolgte; das Klopfen auf die Eisenschienen blieb ohne Antwort. Jetzt ging's langsam und vorsichtig; die Luft fand einen Ausweg den Schacht hinauf, das erleichterte die Arbeit. Endlich war der Schuttkegel durchbrochen. Hinter demselben hatte sich das Wasser angesammelt und eine Tiefe von 6 Fuß erreicht. In diesem Wasser lagen sechs Leichen, deren erste an den Beinen und am Rumpfe von den brennenden Balken erwischt, zerquetscht und bedeckt war; der Kopf ist gen Himmel gerichtet, das Fleisch ist vom Brande, vom Wasser und von der Gährung zerfressen. Die andere Leiche liegt querüber und litt den Tod durch Erstickung. Die drei folgenden liegen an und übereinander, zwei davon sich im Tod festumarmend. Der sechste der Unglücklichen hatte das früher durch Ventilation seinen Dienst leistende Luftrohr aufgerissen, also offenbar die Entdeckung gemacht, daß es sich bei der in Folge des Brandes und Einsturzes erzeugten Luft nicht leben lasse, sein Angesicht auf die Oeffnung des Luftrohrs gelegt; allein das vom Schutt zertrümmerte Luftrohr leistete den erwarteten Dienst nicht mehr! - Der unausstehliche Modergeruch erfüllte die Arbeiter in diesem großen Grabe mit wahrem Entsetzen. In geringerer Entfernung von diesen aufgefundenen Leichen lagen fernere elf, weiterhin vierzehn, sodaß man hier unmittelbar hinter dem Schuttkegel zusammen 31 Verunglückte auffand. Diese, soweit sie nicht schon erwähnt, liegen bald auf dem Gesichte, bald auf dem Rücken, bald lehnen sie am Schutt oder an der Tunnelwand an. Manche tragen noch ihre Kerzen in der Hand. Wäre die Luft rein gewesen, so wären die Kerzen ganz verbrannt; da sie also nur kurze Zeit gebrannt haben, so war in kurzer Zeit die Lebensluft verschwunden und die Arbeiter starben ebenfalls in kurzer Zeit den Tod der Erstickung. Viele waren mit ihren Werkzeugen versehen, hielten im Tod noch den Pickel, mit dem sie unzweifelhaft den Schutt hatten wegräumen wollen, der ihnen den Ausgang so unerbittlich verschloß. In der gemeinsamen Noth zeigten die armen Arbeiter überall die herrlichsten Züge von Bruderliebe. Denn auch hier trafen wir eine rührende Gruppe von fünf, die alle einander im Leben und Sterben fest und treu im Arme hielten. Das mag ein wehmüthiges gemeinsames Schlagen der aneinander pochenden Herzen und ein gemeinsames Verstummen dieser feierlichen Stimmen der Seelen gewesen sein! - Hier fand man auch den englischen Minirer todt, auf dessen Erfahrungen man Hoffnungen für die Verschütteten gegründet hatte - was mochte daher wohl aus den übrigen 21 hier nicht gefundenen geworden sein? Das war die peinliche Frage, welche die zahlreiche vor der Tunnelmündung harrende Volksmenge bewegte. Die Einen schwiegen, die Andern jammerten und viele glaubten durch lautes Schreien dem überschwenglichen Schmerze Luft machen zu können. Und wenn sie glaubten, in einem der hervorgebrachten Särge die Leiche eines lieben Bruders, eines theuren Sohnes zu finden - welch' entsetzlicher Anblick bot sich ihnen dar! Keiner konnte wieder aus seiner Leibesbeschaffenheit erkannt werden - so verheerend hatte die Verwesung bereits um sich gegriffen. -
Bis Samstag Morgens 7 Uhr wurde die Luft so weit gereinigt, daß man bis 1500 Fuß hinter den Schuttkegel vordringen konnte. Da man auf dieser langen Strecke nur zwei todte Pferde, aber keinen menschlichen Leichnam mehr fand, so erreichte die Spannung einen grenzenlosen Grad über das, was man auf der noch übrigen Strecke von etwa 700 Fuß noch entdecken würde! Noch 2 Stunden lang wurde auf Tod und Leben Luft gepumpt, bis man denn endlich zu hinterst im Tunnel die übrigen 21, den Erstickungstod gestorben, neben einander liegend fand. Während jene zuerst aufgefundenen in den verschiedensten Stellungen, stehend und liegend und die Werkzeuge in der Hand haltend, vom Tode überrascht worden waren, und die gräuliche Entstellung der Leichen durch die Verwesung die Beruhigung gab, daß sie schon im Anfange gestorben, gaben verschiedene Umstände die Gewißheit, daß diese letzteren, in den innersten Raum Geflüchteten, noch einige Tage gelebt haben, einige wohl gar bis Mittwoch, also sechs Tage lang. Aller Wahrscheinlichkeit nach verließen sie die Feuerstätte, wo ihre Milch= und Theekannen stehen blieben und wo noch frisches Pferdefleisch auf dem Scheiterhaufen lag, und stiegen die Leiter hinan auf das mit Brettern belegte Gerüst der Mauer. Dahin nahmen sie Kerzen, Oel und etwas Pferdefleisch mit, ihre Lampen hingen sie symmetrisch auf. Ohne Zweifel dachten sie, in der Höhe sei die Luft etwas besser. Mehr und mehr entschliefen; die Uebrigen aßen etwa 4 oder 5 Pfund rohes Pferdefleisch, ordneten die Leichen in Reihen und setzten die Reihen selber fort. Es ist rührend, mit welch religiösem Sinn der Ordnung und Ergebenheit die sonst harten Arbeiter, selbst dem Tode verschrieben, ihre verstorbenen Brüder besorgten. In einer Reihe liegen Mineurs, in der andern die Maurer; beide Reihen hatten die Stiefel ausgezogen und streckten die Füße gegen einander, sind aber noch so entfernt, daß man zwischen den Füßen beider Reihen hindurchgehen kann. Unter dem Kopf liegt ein Brett und etwas Stroh, die Hände sind gefaltet. Die, welche ihren Geist bald aufgaben, konnten Gott danken, aber die, welche alle ihre Brüder so gesunden Herzens hinsterben sahen und dies ihr eigenes Loos sicher erwarten mußten, litten die Todesschmerzen in zehnfachem Maße. Ein Todter hielt in der einen Hand ein Stück Lehm, in das der Daumen gedrückt war, um die Kerze, die er in der andern Hand hatte, hineinzustecken. Auf allen Gesichtern lag eine stille Ruhe; sie waren schmerzlos eingeschlafen - für immer. Drei Jünglinge, noch in ungebrochener Blüthe ihrer Lebenskraft, vermochten dem Tode wahrscheinlich am längsten zu widerstehen. Sie müssen erst kurz vor der Auffindung verschieden sein, denn sie zeigten noch ein sehr gutes frisches Aussehen und ihre Glieder waren noch nicht steif. Die Untersuchung der Aerzte lieferte das Gutachten, daß sie letzten Mittwoch noch gelebt haben. Zwei hatten sich ausgezogen, ohne Zweifel denkend, ganz nackt fühlen sie den Luftmangel weniger und das Athmen sei leichter. Der letzte, der seinen Geist aushauchte, war ein 25 jähriger. Schön von Angesicht, wohlgestaltet und gut gesittet, war er ein guter lieber Camerad. Als man ihn am Sonnabend auffand, waren seine Wangen noch blühend roth, seine Lippen noch frisch und vor dem Munde die Spuren eines kleinen Schaumes. Man wollte seinen Leib noch warm finden und vermuthete, er könnte seinen heißen Todeskampf nur wenige Stunden vorher erst ausgekämpft haben. Dieser letztere lag allein, getrennt von den Andern, unterhalb des Gerüstes, und scheint entweder als Ueberlebender sich bei den vielen todten Cameraden unheimlich gefühlt zu haben, oder als Wachtposten zum Aufpassen auf etwaniges Geräusch aufgestellt zu sein.
Nachmittags 4 Uhr fuhren 35 Arbeiter in den Tunnel, um die Leichen einzusargen und herauszuschaffen. Es war ein ergreifender Zug, der am Sonntag die Verunglückten zum großen gemeinsamen Grabe geleitete, das die ersten Opfer des Unglücks bereits aufgenommen hatte. Der Geistliche hielt

[ => Original lesen: 1857 Nr. 32 Seite 4]

eine treffliche und ergreifende Grabrede. Sie entsprach der Bedeutung des Moments und wirkte beruhigend und versöhnend, um so mehr, als er beauftragt war, Namens der Direktion der Centralbahn die Erklärung abzugeben, daß dasselbe zu Gunsten der Wittwen und Waisen der Verheiratheten, die im Tunnel den Tod gefunden haben, Beschlüsse gefaßt habe, welche der eigentlichen Noth derselben auch für eine entfernte Zeit vorzubeugen im Stande seien.


        Um den beim Mahlzower Brande mit 15,837 Taler (Mecklenburg) Beschädigten und den beim Schlagsdorfer Brande mit 5,906 Taler (Mecklenburg) 32 Schilling (Mecklenburg) Beschädigten Ersatz zu gewähren, wird eine baldige Erhebung von Beiträgen vorerst von 8 Schilling (Mecklenburg) für je 100 Taler (Mecklenburg) Versicherungswerth nöthig und den einzelnen Ortschaften der Zahlungstag besonders angesagt werden.
    Schönberg, den 6. Aug. 1857.

                                                    Direction der Feuer=Vers. Gesellschaft
                                                    für das Fürstenth. Ratzeburg.


Auction in Lübeck.

          Am Freitag den 14. August, Vormittags 9 Uhr, sollen für Rechnung wen es angeht bei der Struckfähre hinter der Kollmann und Schetelig'schen Fabrik, am Neuen Hafen durch unten genannten beeidigten Makler öffentlich meistbietend à tout prix verkauft werden:

ca. 9000 Stück geschmiedete Eisenbahn=Laschen, von Sunderland=Eisen (circa 16 3/4 Zoll lang, ca. 43/4 Zoll breit, und 1 1/2-2 1/8 Zoll dick),
in bequemen Cavelingen; nähere Auskunft ertheilt

                                                    Heinr. Brockmann,
                                                    beeidigter Makler.

    Lübeck, 30. Juli 1857.


        Gestern, den 2. August, Nachmittags 3 Uhr, wurde meine liebe Frau, Bertha, geb. Stender, von einem gesunden Knaben glücklich entbunden.
    Herrnburg d. 3. August 1857.

                                                    J. Rußwurm, Pastor.


          Ich wohne jetzt in der Hinterstraße bei'm Tischler Herrn Prickel.

Rehna.                                                     Dr. Heuschert.


      Das

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schließt Lebens=, Leibrenten= und Sterbekassen=Versicherungen, Zeitrenten=, Darlehns=, Einlage= und sonstige Geldgeschäfte ab, und verzinst alle Kapital=Einlagen von mindestens 50 Taler (Mecklenburg) mit 3 1/4 Procent, Capitale von 500 Thlr. mit 3 1/2 pCt. für's Jahr, durch die unterzeichneten Agenturen.

Agentur Schönberg und Dassow.

J. P. Bade,
Buchbinder.
                                                     J. P. Oldörp,
Schul= und Siechenmeister.


        Alle diejenigen, welche von mir zu fordern haben, sowie diejenigen, welche mir schuldig sind, fordere ich auf, sich bei mir binnen 4 Wochen zu melden. Meine Schuldner können ihre Zahlungen entweder an meinem Schwager Siebenmark in Carlow oder auch an mich leisten.
  Schönberg, den 6. Aug. 1857.

                                                    Wilh. Wieschendorf,
                                                    früher in Stove.


Gefunden:

        Zwischen Schönberg und Rabensdorf, auf der Chaussee: Ein Plätteisen mit zwei Bolzen. Wer sich darüber als rechtmäßiger Eigenthümer ausweisen kann, möge sich beim Altentheiler Kramp in Rabensdorf melden.


Backtafel für die Stadt Schönberg
vom 1. bis 15. August.

Weizen=Milch=Brod. Pfd. Loth.   Pfd.   Loth.
Ein 2 Schillings=Kreuz= oder Franz=Brod, mit dem Aufbrod auf einen Schilling eine Dreilings=Semmel, soll wägen - 16
Ein Schillings=Kreuz= oder Franz=Brod desgleichen -   8
Ferner:
fünf große Milch=Semmel oder für 2 Schillinge - 16
fünf kleine Milch=Semmel oder für 1 Schilling -   8
Roggen=Brod von gebeuteltem Mehl, mit dem Aufbrod auf einen Schilling eines halben Dreilings werth, soll wägen:
ein 8 Schillings=Brod 4 12
ein 4 Schillings=Brod 2   6
ein 2 Schillings=Brod 1   3
Grob Hausbacken=Brod ohne Aufbrod:
ein 8 Schillings=Brod 7   -
ein 4 Schillings=Brod 3 16
ein 2 Schillings=Brod 1 24

Schönberg, den 1. August 1857.                          
                                                    Bürgermeister und Rath.


Getraide und Markt=Preise in Lübeck

Weizen 1 Taler (Mecklenburg) 20-24 Schilling (Mecklenburg),     Wicken - Taler (Mecklenburg) 42-44 Schilling (Mecklenburg),
Roggen 1- Taler (Mecklenburg)   2-  8 Schilling (Mecklenburg),     Buchweizen - Taler (Mecklenburg) 48-50 Schilling (Mecklenburg),
Gerste - Taler (Mecklenburg) 48-52 Schilling (Mecklenburg),     Winter=Rapsaat 26 Mark (Lübeck)
Hafer - Taler (Mecklenburg) 46-48 Schilling (Mecklenburg),     Rübsen 25 Mark (Lübeck)
Erbsen - Taler (Mecklenburg) 52-56 Schilling (Mecklenburg),     Schlagleinsaat 19-21 Mark (Lübeck)
Butter 12 Schilling (Mecklenburg) pr. Pfund.      Kartoffeln, 6 Schilling (Mecklenburg).


Redaction, Druck und Verlag von L. Bicker.


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