No. 23
Die Anzeigen erscheinen wöchentlich zweimal.
Dienstags und Freitags

Schönberg, den 06. Juni
1856
sechsundzwanzigster Jahrgang
Preis vierteljährlich 20 Schilling (Mecklenburg) jährlich 1Mark (Lübeck) 32Schilling (Mecklenburg).
Jahrgang
<< Ausgabe vorher>> Ausgabe danach
[ => Original lesen: 1856 Nr. 23 Seite 1]

Neustrelitz. Ueber das Befinden Sr. Königlichen Hoheit des Erbgroßherzogs gehen fortdauernd erfreuliche Nachrichten aus Berlin hier ein. Der Hr. von Gräfe ist nicht allein mit den Fortschritten der Kur zufrieden, sondern stellt auch ein günstiges Resultat derselben in baldige Aussicht und Se. Königl. Hoheit der Erbgroßherzog selbst fühlen eine wahrnehmbare Besserung des leidenden Auges. Erfreulicher Weise haben daher Ihre Königl. Hoheit die Frau Erbgroßherzogin den Erbgroßherzog mit den besten Hoffnungen verlassen und hierher zurückkehren können.
Am 30. Mai sind Ihre königl. Hoheiten der Großherzog, die Frau Großherzogin und die Frau Herzogin Caroline auf einige Tage nach Berlin und Potsdam abgereist, um Ihrer Majestät der Kaiserin von Rußland, während Allerhöchstihres Aufenthalts in Sanssouci, einen Besuch abzustatten.
- Das großherzogliche Schwerinsche Ministerium schärft den dortigen Paßbehörden auf's neue ein, Reiselegitimationen der Handwerksgesellen, welche sich in das Herzogthum Lauenburg begeben wollen, nur bis zur nächsten Lauenburgischen Stadt zu visiren.
- Die Rede, welche der Kaiser von Rußland bei seinem Empfange am 24. Mai in Warschau an die Adels=Marschälle hielt, war etwa folgenden Inhalts: Meine Herren! Ich fühle Mich glücklich, Mich unter Ihnen zu sehen; Ich bringe Ihnen Vergessenheit des Vergangenen; allein es ist durchaus nothwendig, daß unsere Stellung klar sei. Ich bin deshalb verpflichtet, Ihnen zu sagen, daß Sie nach Meiner festen Ueberzeugung nicht anders werden glücklich werden, als wenn Polen in gleicher Weise wie Finnland sich anschließen wird an die große Familie, welche das russische Reich darstellt. Ich bin ferner davon durchdrungen, daß auch das Regierungssystem Meines in Gott ruhenden Vaters nur jenes Ziel, d.h. Ihr Glück, zum Zwecke hatte. Ich werde Mich bestreben, die Verwaltung des Landes zu verbessern, und Ich werde Sie mit der gleichen Liebe wie die Russen umfassen, d. h. als meine Kinder, allein unter der einen Voraussetzung, daß die Träumereien aufhören. - Darauf lobte der Kaiser die Tapferkeit und Treue der Polnischen Offiziere, welche an dem Krimfeldzuge Theil genommen, wiederholte aber noch einmal die bedeutungsvollen Worte: "Keine Träumereien!" - An den Senat des Warschauer Departements sprach er: "Ich bin nicht ganz mit dem Gange der Geschäfte zufrieden; ich hoffe jedoch, daß es in Zukunft besser gehen werde, daß der Gerechtigkeitsgang ein schnellerer sein wird, und daß die Gerechtigkeit mit Unparteilichkeit geübt werde."
- Seit der Ankunft des Kaisers von Rußland in Berlin nimmt der Kreis der Souveraine am preußischen Hofe mit jedem Tage zu. Ihre königliche Hoheiten der Großherzog und die Frau Großherzogin von Schwerin sind gleichfalls in Berlin eingetroffen. Eine am 31. Mai abgehaltene militairische Parade war eine der glänzendsten, welche seit lange stattgefunden hatte. - Die russische Gesandtschaft in Berlin machte bekannt, daß alle Bittschriften an den Kaiser oder die Kaiserin, deren täglich sechszig bis hundert einkommen, an eine preußische Behörde nach Abreise des Kaisers und der Kaiserin zur Prüfung übergeben werden würden.
- Die russische Regierung hat an ihre Gesandten im Auslande eine Circulardepesche gerichtet, wonach sämmtlichen politischen Flüchtlingen des Königreichs Polen, wie der angrenzenden Provinzen des Kaiserreichs, eine Amnestie für ihre Vergehen zugesagt wird. Von derselben sind nur diejenigen politischen Flüchtlinge ausgeschlossen, welche durch ihr Benehmen eine unverbesserliche Feindschaft gegen die kaiserliche Regierung gezeigt haben und darin beharren.
- Der in Petersburg veröffentlichte Friedensvertrag enthält an der Spitze folgende kaiserliche Titel, die zu erfahren Manchem interessiren dürfte. "Von Gottes Gnaden Wir, Alexander der Zweite, Kaiser und Selbstherrscher aller Reussen, von Moskau, Kiew, Wladimir, Nowgorod; König von Kasan, Astrachan, Polen, Sibirien, Tauride=Chersones und Herr von Pskow; Großfürst von Smolensk, Littauen, Wolhynien, Podolien und Finnland; Fürst von Esthland, Kurland, Livland, Semgallen, Samogitien, Bialystok, Korelien, Twer, Jugrien, Perm, Wjatka, Bolgarien und Anderen, Großfürst von Nowgorod, Nisowsk (niederes Land), Tschernigow, Rjasan, Polozk, Rostow, Jaroslaw, Biclosersk, Udorien, Obdorien, Kondisk, Witebsk, Mstislawsk und aller Nordländer; Beherrscher und Herr von Iwerien, Cartalinien, Grusien, Kabardinsk und der Armenischen Provinzen, so wie der Fürsten von Tscherkask, und Gorsk Lehns= und Erbherr; Erbe von Norwegen, Herzog von Schleswig=Holstein, Stormarn, Dittmarschen und Oldenburg."
- Die Taufe des kais. Prinzen findet in Paris am 14. Juni statt. Die Bürgermeister aller Hauptstädte der Departements sind eingeladen worden, der Ceremonie beizuwohnen. Dieselbe findet in der Kirche Notre=Dame statt; die Herren erscheinen dabei in Uniform, die Damen in weit ausgeschnittenen Kleidern, und für die Damen der kaiserl. Hofhaltung ist der Hofmantel vorgeschrieben. Die Admiralin Bruat wird das Kind tragen. Der Kirchen=Vorstand hat vier neue Glocken angeschafft, deren erstes Geläute die Taufe des Tronerben ankündigen wird. - Ein Comite in Paris hat durch eine allgemeine Subscription zu dem Betrage von 5 bis 20 Centimes eine Summe von mehr als 800,000 Francs zusammengebracht, um der Kaiserin und dem jungen Prinzen ein Geschenk damit zu machen. Die Kaiserin hat dieses Geschenk dankend angenommen und dabei den Wunsch ausgesprochen, das Geld zu Er=

[ => Original lesen: 1856 Nr. 23 Seite 2]

richtung einer Waisen=Anstalt für verwaiste Kinder aus dem Arbeiterstande verwenden zu dürfen, und diese Anstalt unter Patronat des Prinzen durch eine Commission verwalten zu lassen. Der Kaiser will aus seiner Privatkasse, und so lange bis sein Sohn es selbst thun kann, jährlich 30,000 Francs zu dem Rentenertrage des obigen Stiftungs=Capitals beitragen. - Es heißt, der Kaiser Louis Napoleon werde eine Reise nach Algier machen.
- Am 29. Mai fand in London das längst angekündigte sehr imposante Feuerwerk und Illumination zur Feier des Friedens, so wie zur Feier des Geburtstags der Königin statt. Man berechnet, daß sich bei dieser Gelegenheit eine Menschenmenge von 3 Millionen Seelen in den Straßen Londons bewegte. Auch in andern Städten Englands wurde diese Friedensfeier begangen. In London hat die Feier mehrere schwere Unglücksfälle zur Folge gehabt. Unter andern verloren drei Personen durch die Raketenstäbe, deren viele unter die Zuschauer fielen, ihre Augen, und Einer das Leben, Andere wurden gequetscht, übergefahren etc.
- Eine neue Heeres=Organisation steht der türkischen Armee bevor, wonach dieselbe in Friedenszeiten aus 100,000 Mann, darunter 30 bis 35,000 Christen, bestehen soll, die auf verschiedenen Punkten des Reichs so vertheilt werden sollen, daß im Fall des Bedarfs rasch größere Truppenkörper zusammengezogen werden können.


Vermischtes.

- Von Berlin gehen gegenwärtig viele Handwerker, Maschinenbauer, Techniker etc. nach Rußland, um dort bei den großen Eisenbahn= und sonstigen Bauten Arbeit zu finden. Fast Tag für Tag gehen dergleichen Züge dahin ab.
- Eine 75jährige Frau in Berlin stürzte dieser Tage zwei Stock hoch aus dem Fenster auf den Hof, schlug dort auf die Bohlen, womit eine Lehmkuhle bedeckt war, brach mit einem der dicken Bretter durch und fiel in die Grube. Beim Herausziehen derselben fand es sich, daß die Greisin von diesem schweren Fall nur eine leichte Verletzung am Knie und an der Stirn davontrug.
- Das theure Jahr 1855 ist eine Goldgrube für manche Bauern gewesen, wenn anders das, was aus Köln davon verlautet, keine Ente ist. Es kommt dort ein Bauer aus der Nachbarschaft zu einem Goldschmied und bestellt sich fünf schwere goldene Eßlöffel mit seinem Namenszuge. Der Meister stutzt und meint, so ein Löffel koste 80 Taler (Mecklenburg), ob ihm, dem Bauer, das nicht zu viel sei? "Nein, Meister, wenn er's werth ist, kann er meinetwegen auch 100 Taler (Mecklenburg) kosten." - "Warum denn aber bloß fünf Löffel? Warum denn nicht das halbe Dutzend voll?" - "Weil ich just nur fünf Söhne habe. Für jeden Jungen einen Löffel zum Andenken an das Jahr 1855." - "Das war wohl eine goldene Zeit für Euch?" fragte der Goldschmied. - Der Bauer schmunzelte und antwortete bloß: "Wie gesagt, Meister, es kommt mir auf 20 Taler (Mecklenburg) mehr für den Löffel nicht an." - Aus der Gegend von Naumburg ist unlängst eine ähnliche Dorfgeschichte erschollen.
- Im südlichen Theile Mecklenburgs soll das Winterkorn, namentlich Roggen, besser stehen als im nördlichen. In der Rostocker Gegend stehen Weizen und Roggen nicht sehr dick. Die Mengesaaten, z. B. Bohnen und Wicken etc., finden in Mecklenburg immer mehr Verbreitung, da es erwiesen ist, daß dieselben vorzüglich Scheffeln und dabei auch einen höhern Ertrag an Stroh gewähren.
- Fast alle Saatberichte melden den außerordentlich günstigen Stand der Wintersaaten, was insbesondere in Bezug auf den Roggen gilt; die Weizenfelder sollen in den meisten Gegenden dünn stehen. Aus dem südlichen und westlichen Deutschland mehren sich die Klagen über anhaltendes Regenwetter, wo auch bereits Flüsse ausgetreten sind. In England war der Stand der Saaten ein günstiger. - Die Oelfrüchte stehen nur in Ungarn vielversprechend; in den Rheingegenden hat der Raps wenig gelitten, auch im Schleswigschen nicht. - In Mitteldeutschland wird das Paar Saugschweine mit 6 - 9 Taler (Mecklenburg) nach Verhältniß bezahlt. In Oesterreich und Schlesien werden jetzt die Schäfereien mehr reducirt und in vielen Oekonomien der Kuhstand wieder vermehrt.
- In Koblenz sind Trauerbotschaften über Verheerungen eingetroffen, welche Gewitterregen angerichtet haben. Bei Bingen ist nämlich der durch seinen vorzüglichen Wein berühmte Scharlachberg durch einen Wolkenbruch so vollständig verwüstet worden, daß alle Hoffnungen auf einen diesjährigen Weinertrag vernichtet sind.
- In Frankreich haben abermals Ueberschwemmungen stattgefunden. Der Rhone hat in Lyon und den benachbarten Ortschaften schreckliche Verwüstungen angerichtet; sein Austreten hat fast alle Straßen und viele Häuser unter Wasser gesetzt, und ungeachtet der größten Anstrengungen zur Bergung der Habseligkeiten, hat doch nur wenig davon in Sicherheit gebracht werden können, so schnell erfolgte die Ueberschwemmung. Der Anblick von den Lyon umgebenden Höhen ist betrübt; so weit das Auge reicht, nichts als ein wildes Meer, das die fruchtbarsten Landstrecken überschwemmt. Das Wasser aus dem Oberlande war noch nicht angekommen und man fürchtete, daß das Unglück noch nicht seinen Gipfelpunkt erreicht hat. Der angerichtete Schaden an den Feldfrüchten ist sehr bedeutend.
- Am 1. Juni ist in Paris die Ackerbau=Ausstellung eröffnet. Eine ungeheure Menge Menschen hatte sich dabei eingefunden. Außer vielen und seltenen Gewächsen sind 1125 Stiere, Ochsen und Kühe und eine große Anzahl Schweine, Schafe und Geflügel ausgestellt, so wie Ackergeräthe, Maschinen und Ackerbau=Producte. Besonderes Aufsehen durch ihre langen Hörner erregten ungarische Zugochsen und das harmonische Glockengeläute der Schweizerkühe die größte Bewunderung. Den Costümen der fremden Schäfer wurde allgemeine Aufmerksamkeit gewidmet. Vertreten waren folgende Länder: Frankreich, England, Oestreich, Preußen, Sachsen, Baden, Dänemark, Holstein, Baiern, Belgien, Italien, Holland, Nassau, Vereinige Staaten, Mexico, Spanien, Schweiz und Sardinien. Gleichzeitig findet im Industrie=Pallast eine Ausstellung derjenigen Gegenstände statt, welche dem Prinzen Napoleon zum Besten einer Lotterie für die Orient=Armee überlassen wurden. Das Capital der Lotterie ist auf 400,000 Franks, der Schätzungswerth der Geschenke, festgestellt worden und wird durch 400,000 Loose zu 1 Fr. repräsentirt. Die Zahl der Gewinne, worunter mehrere prachtvolle Kunst= und Industrie=Producte sind, beträgt ungefähr 12,000, darunter Preise von 25,000, 20,000, 5,000, 4,000 Franks u. s. w.
- In Hamburg und auf den deutschen Märkten blieben die Getreidepreise in der letzten Woche fest und erhöhten sich in Weizen und Roggen. In England war der Markt ruhig. Vorräthe schmolzen auf den deutschen Märkten immer mehr zusammen und man erwartete mit großem Verlangen überseeische Zufuhren. Das aus Schweden und Rußland für die nächste Zeit zu erwartende Quantum wird auf 12 bis 15,000 Wispel angeschlagen. In Hamburg und Berlin waren Butterpreise wesentlich zurückgegangen in Folge stärkerer Zufuhren von Grasbutter. In Schwerin ist das Stroh sehr knapp, das Schock (1200 Pfund) kostete 10 Taler (Mecklenburg).


Physiognomie eines englischen Farmhofes.

Wer einen englischen Wirthschaftshof zuerst mit deutschem Auge betrachtet, kann sich nicht genug über die Einfachheit desselben wundern. Umsonst sucht man da die schloßartigen Wirthschaftsgebäude, die prachtvollen Ställe, die massiven Scheunen, wie man sie auf preußischen, hannoverschen oder mecklenburgischen Domainen und Rittergütern findet. Die Wirthschaftsgebäude einer ansehnlichen englischen Farm können sich an Großartigkeit nicht einmal mit denen eines bessern altenburgischen, sächsischen oder mecklenburgischen Bauerhofes vergleichen. - Die merkwürdige Erscheinung hängt genau mit dem Betriebe der englischen Landwirthschaft und mit den klimatischen Verhältnissen zusammen.

[ => Original lesen: 1856 Nr. 23 Seite 3]

Der Hof zerfällt gewöhnlich in zwei Theile, wovon der eine für die Feimen (Miethen), der andere für das Vieh bestimmt ist. Diese Abtheilung wird häufig durch eine dazwischenliegende Scheune bewerkstelligt. Während bei uns die Scheunen meist die stattlichsten Gebäude des Hofes, sehen sie auf englischen Gütern nur wie kleine Schuppen aus. Das kommt daher, daß die Engländer ihr sämmtliches Getreide in Feimen aufstellen und die Scheunen nur zum Ausdreschen und zur Aufbewahrung desjenigen Getreides gebrauchen, welches unmittelbar zum Ausdrusch kommen soll. Die Feimen stehen gewöhnlich nicht auf dem Felde, sondern im Feimenhofe. Dieselben ruhen meistens auf steinernen, hölzernen oder gußeisernen Untergestellen, um Feuchtigkeit und Mäusefraß vom Getreide fern zu halten. Oben werden sie mit Stroh bedeckt. Die Gestalten der Feimen sind sehr verschieden, bald kegelartig, bald viereckig, mit einem hausartigen, schrägablaufenden Dache; aber immer ist die Form eine mathematisch regelmäßige. Die Feimenarchitektur hat in England ihre höchste Vollkommenheit erreicht. Auch das Heu wird in Schobern aufgestellt. Da das englische Klima selbst im Winter so mild ist, so können auch die Ställe viel leichter und einfacher sein als die unsrigen. Das Rindvieh bleibt den ganzen Sommer Tag und Nacht auf der Weide; im Winter treibt es sich auf dem Viehhofe herum, in der Nacht und bei starker Kälte dienen ihm leichte Ställe, in der Gestalt von Schuppen, zum Schutze.
Auf den meisten Gütern findet man trotz der starken Schafhaltung gar keine Schafställe, da die Schafe Winter und Sommer auf der Koppel bleiben. Ich sah in den Koppeln hie und da leichte Bretterhäuschen, welche für das Lammen der Schafe bestimmt sind, wenn dieses im Winter stattfindet. Die Schweine haben regelmäßig ihre eigene Abtheilung im Hofe, wo sie auch ihr Futter erhalten; ihre Ställe sind nach unsern Begriffen ebenfalls leicht und luftig. Am festesten sind noch die Pferdeställe gebaut. Die Milchräume finden sich meistens in dem Wohnhaus des Farmers oder dessen Nebengebäuden. Zu diesen wenigen Gebäuden kommen noch einige Schuppen für Geräthschaften, Maschinen, Wagen u. s. w. und damit ist die Zahl der landwirthschaftlichen Gebäude erschöpft. Durch die überraschende Einfachheit ihres Bauwesens hat die englische Landwirtschaft einen großen Vorzug vor der unsrigen. Während bei uns ein großer Theil des Kapitals in die Gebäude gesteckt werden muß, kann der Engländer viel mehr auf den Betrieb der Wirtschaft selbst wenden. Der Reinertrag eines Gutes wird durch den verhältnismäßig so geringen Bauaufwand sehr erhöht. Obgleich unser Klima und unser Wirthschaftssystem massivere und größere Gebäude verlangt, so könnten wir gewiß von den Engländern viel lernen, was Einfachheit und Sparsamkeit der Wirthschaftsgebäude betrifft.


Vorladungen.

Auf Antrag der Curatel der Kinder und Erben des zu Sahmkow verstorbenen Hauswirths Johann Heinrich Wiencke werden, zwecks Ermittelung etwaiger nicht bekannter Nachlaß=Schulden, Diejenigen, welche Ansprüche und Forderungen an den Nachlaß dieses Verstorbenen haben oder zu haben vermeinen, hiermit peremtorisch geladen, bei Vermeidung des Ausschlusses und der Abweisung von der Erbmasse für immer, solche in dem deshalb auf Montag

den 7. Julius d. J.,

Morgens 11 Uhr, anberaumten Liquidations=Termine vor unterzeichnetem Justiz=Amte genau anzumelden und, soweit sie Urkunden darüber besitzen, sofort zu bescheinigen.
Ausgenommen von der Anmeldungspflicht sind jedoch diejenigen Wiencke'schen Gläubiger, welche ihre Forderungen auf einem ihnen vor dem Termine vorzulegenden, mit dem Insiegel des Gerichts coreberirten Postenzettel, an Kapital und Zinsen, richtig verzeichnet finden werden; jedenfalls haben dieselben, wenn sie sich dennoch melden sollten, auf Erstattung der Liquidations=Kosten keinen Anspruch.
Schönberg den 24. April 1856.

                          Großherzogl. Justizamt der Landvogtei des Fürstenthums Ratzeburg.
                          C. L. v. Oertzen.
                          (L. S.)                                                     Reinhardt.


Verkaufs=Anzeigen.

Am Mittwoch den 18. Juni
und an den folgenden Tagen

von Morgens 9 Uhr an, sollen auf der ersten Pfarre hieselbst öffentlich meistbietend gegen baare Bezahlung verkauft werden:

Zwei Büchersammlungen, resp. von 1049 und 640 Exemplaren; verschiedene Mobilien, als: Schränke, Tische, Stühle, Sopha's, Kommoden, Bettstellen und ein Schneiderscher Badeschrank; Glas und Porzellan; Silberzeug; Betten u. Bettfedern; Leinenzeug, darunter ein Damast=Tafellaken mit 24 Servietten; Küchengeräthe; Brennholz; 4 Kühe und 1 Schwein.
Die Auction beginnt mit dem Bücherverkauf.
Das Vieh wird am Donnerstag Vormittag 12 Uhr versteigert werden.
Schönberg den 29. Mai 1856.


Am                                                    
Montage den 9. Juni d. J.,
Morgens 9 Uhr,

sollen beim Ackerbürger Böckmann hieselbst nachbenannte Gegenstände gegen gleichbaare Zahlung verkauft werden, als:

3 eichene Koffer, 6 Bolzen Flechsen, 10 Bolzen Hedenleinen, 2 Bolzen Tischzeug, 1 Bolzen Wollenzeug, Betten, Frauenröcke, 1 messingener Kessel, Leinenzeug, Flachs,

                                                    Seegert, Landreiter.


Auction=Anzeige.

Am                                                    
Mittwoch den 11. Juni d. J.
Morgens 9 Uhr,

sollen in der Wohnung des Viehverschneiders Siesage auf der Beek

12 Pfeifen mit Silber belegt, 1 paar silberne Spohren, 1 Taschenuhr, 1 Schlitten, 2 Reitsattel mit Taschen, 1 Zaum mit silbernen Stangen, Reisekoffer, 1 Wagen, Schneidelade, Vorsetzfenster, 1 Waagebalken mit Gewichten, Küben, 1 Jagdgewehr nebst Tasche und Horn, 2 Pistolen nebst Holfter, eichene Läden, ein Sopha, 1 Kommode und mehr dergl. Sachen
öffentlich meistbietend gegen gleichbaare Bezahlung verkauft werden.
Schlagsdorf, den 30. Mai 1856.

                                                    H. Speck, Landreiter.


Vermischte Anzeigen.

Thierschau in Schönberg am 12. Juni 1856.

1) Die Thierschau findet statt auf dem, vor Schönberg an der Lübecker Chaussee belegenen s. g. Baubrink.
2) Jedem steht es frei, Thiere zur Schau zu stellen, indessen concurriren zu den Prämien nur diejenigen Einwohner des Fürstenthums Ratzeburg, welche Mitglieder des Vereins sind.
3) Durch von dem Vorstande ernannte Preisrichter werden für folgende Thiere Preise ausgetheilt werden:

A. Pferde.

a. für das beste, von einem hier stationirt gewesenen Landbeschäler gefallene 1jährige Stutfüllen ein von Sr. Königlichen Hoheit dem Allerdurchlauchtigsten Großherzoge gnädigst bewilligter Ehrenpreis.

[ => Original lesen: 1856 Nr. 23 Seite 4]

b. für die beste, von einem der hier stationirten Landbeschäler belegte Stute ein von Sr. Königlichen Hoheit dem Erbgroßherzoge gnädigst bewilligter Ehrenpreis.
c. Aus eigenen Mitteln des Vereins:
    1) für die beste 4jährige und ältere Stute 30 Taler (Mecklenburg)
    2) für die nächstbeste 20 Taler (Mecklenburg)
    3) für die beste 3jährige Stute 15 Taler (Mecklenburg)
    4) für das beste Wagenpferd 20 Taler (Mecklenburg)
    5) für das beste Arbeitspferd 15 Taler (Mecklenburg)
    6) für das beste 2jährige Füllen 15 Taler (Mecklenburg)
    7) für das beste 1jährige Füllen 10 Taler (Mecklenburg)

D. Rindvieh.

    1) für den besten 2jährigen oder älteren Bollen 10 Taler (Mecklenburg)
    2) für den besten 1jährigen Bollen 8 Taler (Mecklenburg)
    3) für die beste Kuh 15 Taler (Mecklenburg)
    4) für die nächstbeste Kuh 10 Taler (Mecklenburg)
    5) für die nächstfolgende Kuh 8 Taler (Mecklenburg)
    6) für die beste 2= u. 3jährige Starke 12 Taler (Mecklenburg)
    7) für die nächstbeste do. 8 Taler (Mecklenburg)
    8) für die nächstfolgende do. 6 Taler (Mecklenburg)

C. Schweine.

    1) für den besten Zucht=Eber 10 Taler (Mecklenburg)
    2) für die beste Sau 10 Taler (Mecklenburg)
    3) für das nach Gewicht schwerste Schwein ohne Berücksichtigung des Alters 10 Taler (Mecklenburg)

4) Es dürfen nicht mehrere Prämien für dasselbe Thier ausgegeben werden und daher ein Pferd nicht gleichzeitig als Stute und als Wagen= oder Arbeitspferd prämirt werden.
5) Die Stellung sämmtlicher Thiere muß am Tage der Schau auf dem Baubrink, wo ihnen der Platz angewiesen werden wird, Morgens 9 Uhr geschehen sein.
Schönberg, den 5. Juni 1856.

                          Der Vorstand
                          des Thierschau=Vereins im Fürstenthume Ratzeburg.


Alle diejenigen, welche in diesem Johanni=Termin durch mich Geld und Sparkassenbücher an die Schweriner Sparkasse zu besorgen gedenken, wollen solche entweder an mich oder an den Herrn Buchbinder Bade in Schönberg, spätestens bis zum 24. Juni d. Js. abgeben lassen.
Siechenhaus bei Dassow, den 3. Juni. 1856.

                                                    J. P. Oldörp, Siechenmeister.


Einem geehrten Publikum der Stadt und des Landes die ergebene Anzeige, daß ich am 8. Juni

meinen Laden

eröffnen werde, mit dem Bemerken, daß ich jeden Morgen frisches Brod liefre, und des Dienstags, Donnerstags und Sonnabends jeder Woche sogenanntes hausbacken Brod backe, und um fleißigen Besuch bitte.
Schönberg, den 30. Mai 1856.

                                                    J. Röhls jun., Bäcker.


Hierdurch beehre ich mich einem geschätzten Publikum anzuzeigen, daß ich mich hieselbst als

Kupferschmidt

niedergelassen habe, und empfehle mich dessen gütigem Wohlwollen zu allen in mein Fach einschlagender Arbeiten, welche außer den hierzu gehörenden, besonders noch in Anfertigung von Pumpen=, Brennerei=, Deck=, Wasserleitungs= und Klosett=Arbeiten bestehen. Meine Wohnung ist beim Herrn Straßmann, Siemzerstraße.
Schönberg, den 5. Juni 1856.

                                                    C. Mess, Kupferschmidt.


Joh. Wencker's
Möbel- und Spiegel-Magazin
= obere Glockengießerstraße No. 247. =
in
Lübeck

empfiehlt sich bei reichhaltiger Auswahl zu billigen, festen Preisen ergebenst.


U. Beermann & Co.
in Lübeck,
Klingberg No. 927.

empfehlen ihre große Auswahl von

Frühjahrs=Mänteln und Mantillen

in den neuesten und geschmackvollsten Façons, so wie ihr sonstiges bekanntes Lager von Manufacturen zu billigen Preisen.


Am Donnerstag den 12. Juni wird Abends nach 8 Uhr in meinem Locale ein Ball stattfinden, wozu ich ein geehrtes hiesiges und auswärtiges Publicum gehorsamst einlade.

                                                    A. Spehr.


Einem geehrten Publikum hieselbst und der Umgegend zeige ich ergebenst an, daß vom 3. Juni an jede Woche Dienstags und Sonnabends mein

Personenwagen

von hier nach Lübeck und an demselben Tage von dort zurückfahren wird. Personen, welche diese Gelegenheit benutzen wollen, wollen sich hieselbst bei mir, in Selmsdorf beim Herrn Gastwirth Michaelsen, in Schlutup beim Herrn Müller Wieschendorf, in Lübeck beim Hrn. Benthien in "Stadt Wismar" am Kaufberg melden.
Abgangszeit von hier Morgens 7 Uhr und von Lübeck Nachmittags 4 Uhr.
Preis für die Person von hier nach Lübeck 12 Schilling (Mecklenburg) - Sperrsitz 16 Schilling (Mecklenburg).

Schönberg 1856.                                                     F. Fick.


            Die

Magdeburger Vieh=Versicherungs=Gesellschaft
versichert
Pferde, Rindvieh, Schaafe, Ziegen und Schweine

zu festen Prämien, ohne alle Nachzahlung, gegen alle Verluste, die in Folge von Krankheiten, Seuchen oder Unglücksfällen, durch Sterben, Tödten, Abschlachten oder Verkauf entstehen.

Nähere Auskunft ertheilt                          
die Haupt=Agentur Schönberg:
Wilh. Heincke.


Kirchliche Anzeige.

Dritter Trinitatis.
        Frühkirche: Pastor Gerling.
        Hauptkirche: Pastor Pumplün.


Getraide und Markt=Preise in Lübeck

Weizen 2 Taler (Mecklenburg) 6-14 Schilling (Mecklenburg),     Wicken 1 Taler (Mecklenburg) 4-12 Schilling (Mecklenburg),
Roggen 1 Taler (Mecklenburg) 28-32 Schilling (Mecklenburg),     Buchweizen 1 Taler (Mecklenburg) 2-  8 Schilling (Mecklenburg),
Gerste 1 Taler (Mecklenburg) 4-  8 Schilling (Mecklenburg),     Winter=Rapsaat - Mark (Lübeck)
Hafer 1 Taler (Mecklenburg) 2-  4 Schilling (Mecklenburg),     Sommer=Rapsaat - Mark (Lübeck)
Erbsen 1 Taler (Mecklenburg) 20-24 Schilling (Mecklenburg),     Schlagleinsaat 15-16 Mark (Lübeck)
Butter 11 Schilling (Mecklenburg) pr. Pfund.      Kartoffeln, a Faß 8 Schilling (Mecklenburg).


(Hiezu: Officieller Anzeiger No. 3)


(Nebst Beilage.)


Redaktion, Druck und Verlag von L. Bicker.


[ => Original lesen: 1856 Nr. 23 Seite 5]

Beilage
zu den Wöchentlichen Anzeigen für das Fürstenthum Ratzeburg.
Schönberg, den 6. Juni 1856.


Johann Wittenborg und seine Tochter.
(Fortsetzung.)

Eine stille Zeit war für Katharinen vergangen. Endlich hörte man in Lübeck die Siegeskunde, daß die Hansaflotte die Inseln Oeland und Gothland wieder erobert, bald die noch freudigere, daß sie auch die dänische Flotte geschlagen und der Befehlshaber derselben, der dänische Prinz Christoph, das Leben verloren, und daß die Wegnahme des Fahrzeugs, von dem aus er befehligte, der Heldenthat eines Jünglings Namens Erich Wieringer zu danken sei, der zuerst und zu rechter Zeit auf das Schiff gesprungen. Wie jauchzte Katharina über diese Kunde, daß der Geliebte so schnell sein Wort gelöst! Wie dankte sie dem Himmel dafür, wie für die Erhaltung ihres Vaters und seine siegreiche Führung! - Jetzt kreuzten die Schiffe an der dänischen Küste und wollten dort ihre Truppen landen. Bald kam die Nachricht, daß auch diese Landung siegreich bewerkstelligt. Der allgemeine Jubel in Lübeck kannte keine Grenzen! Man fühlte sich doppelt stolz über diesen Sieg der deutschen Waffen, da ja der Bürgermeister von Lübeck der Befehlshaber war. Der Name Johann Wittenborg klang auf allen Zungen und die Bürgerschaft dachte bereits darüber nach, mit welchen Ehren sie ihn bei seiner Rückkehr empfangen wollte.
Da lief eines Tages die Nachricht durch die Stadt: es wären lübeckische Kriegsschiffe in Sicht mit geknickten Masten und zerrissenen Tauen - man wußte nicht was man davon denken sollte, endlich kamen sie näher und näher und da das erste landete, vernahm man die Schreckenskunde: diese Schiffe waren der Ueberrest der Hansaflotte. Indeß man an der dänischen Küste gelandet, hatten die Dänen die Flotte überfallen, zwölf Schiffe genommen und die übrigen so übel zugerichtet, daß sie so schnell als möglich den heimischen Hafen suchen mußten. Und wie nun die erschrockenen Lübecker weiter fragten, wie das geschehen konnte? da erhob sich unter der rückkehrenden Schiffsmannschaft nur eine donnernde Stimme der Anklage und ein Name schwebte auf allen Lippen, nur einem Mann gab man die Schuld: Johann Wittenborg. - Als Angeklagten, als Gefangenen hatte man ihn an Bord - der hochgeehrt ausgezogen, erlebte die schmachvollste Heimkehr. Ihm allein gab man es Schuld, daß er, während die Truppen an Dänemarks Küste gelandet, die Bewachung der Schiffe versäumt habe und so den Ueberfall derselben leicht gemacht. Einige sprachen von offenbarem Verrath, andere nur von Unverstand und Unvorsichtigkeit - Alle aber verdammten ihn und zeugten wider ihn. Das schlimmste Zeugniß war die vernichtete Flotte. Gegenüber diesem Anblick, dieser Schmach ergrimmte ganz Lübeck und es fand eine jener Umwandlungen der Volksgunst Statt, die zu allen Zeiten und bei allen Völkern zu dem wüthendsten Fanatismus ausarten. Gerade weil man früher den Bürgermeister Wittenborg so hoch geehrt, weil man noch vor Kurzem so stolz auf ihn gewesen und seines Lobes sich nimmer hatte genug thun können, gerade darum verurtheilte man ihn nun so hart und so überschwänglich; wie man ihn erst gehuldigt, schmähte man ihn nun. Laut forderte man: daß er zur Rechenschaft gezogen, gefangen gehalten, bestraft, enthauptet werde - ja, um ihn der Volkswuth zu entziehen, konnte man nicht genug eilen ihn von dem Schiff auf das Rathhaus und dort in sicheren Gewahrsam zu bringen. - Katharina hatte nicht so bald diese Schreckensbotschaft erfahren, als sie an das Fenster trat und wartete, wenn sie Bertram, der ohne Zweifel auf dem Rathhaus war, werde von da zurückkehren sehen. Aber oft trat sie wieder zurück und mußte sich festhalten nicht umzusinken, wenn sie von Vorübergehenden zürnende Blicke wider das Haus gerichtet sah, Flüche und Verwünschungen ausstoßen hörte. Sie konnte daraus schließen, was ihr Vater selbst von einer solchen Stimmung zu erwarten habe. Endlich kam Bertram und kaum war sie ihn ansichtig geworden, so verließ sie ihr Haus und betrat kurz nach ihm das seinige. Es war der schwerste Gang ihres Lebens - aber er war der einzige Mann, von dem sie Rath und Beistand für ihren Vater hoffen, vorerst wenigstens von ihm hören konnte, da er ihn gewiß gesehen - und was thäte eine Tochter nicht für ihren Vater? -
Bertram lächelte höhnisch, da er Katharina in sein Haus treten sah, ging ihr höflich entgegen und sagte, ihre Hand ergreifend und sie küssend: "Ei, was verschafft mir denn die Ehre dieses holden Besuches?" - "Das braucht Ihr nicht erst zu fragen, Herr Bertram!" antwortete sie, unter diesem Empfang zusammenzuckend. "Mein Vater ist hier und gefangen - Ihr habt Gewalt über ihn, seine Hüter gehorchen Euch - laßt mich zu meinem Vater!" - "Das ist ein sehr kühnes Verlangen!" sagte Bertram. "Euer Vater ist als Verräther am Bund der Hansa angeklagt und in Gewahrsam, er darf Niemanden sprechen - " - "Als Euch!" fiel sie ihm in's Wort, "und unmenschlich wäre es, ihm den Trost seines Kindes zu verweigern; ich will ihn nicht befreien, kein Mittel zu seiner Vertheidigung ihm angeben - weiß ich denn, wessen man ihn anklagt? Ich will nur als Tochter seine schweren Tage theilen! Sperrt mich mit ihm ein, laßt mich ihn pflegen und trösten!" - "Man hört, daß Ihr von den Dingen der bürgerlichen Gesetzgebung Nichts versteht", sagte Bertram hämisch, "es ist nicht Brauch, eine solche Erleichterung Staatsgefangenen zu gewähren; und außerdem", fuhr er fort, da Katharina eben wieder gegenreden wollte, "wäre es sehr unklug von Euch, Jungfrau Katharina, Euch mit ihm einsperren lassen zu wollen - Ihr würdet es nicht lange aushalten, und während Ihr frei etwas für ihn thun könnt, würdet Ihr Euch dies ja selbst unmöglich machen, wenn Ihr Euch gefangen gebt." - Dieser letzte Grund ließ sie von dieser Bitte abstehen. "O, sagt mir, was kann ich für ihn thun?" rief sie. - "Das wird sich wohl später finden", sagte er ausweichend.
Noch einmal, noch dringender bat sie, ihr das Wiedersehen mit ihrem Vater zu erwirken - sie sank sogar vor ihm auf die Kniee nieder. Nie hatte er sie schöner gesehen, als in diesem Schmerze, dieser Demuth; er hatte sie lange nicht so nah gesehen, jetzt bemerkte er erst, welche Veränderung seitdem mit ihr vorgegangen. Der Liebe ihres Erich gewiß und in der Hoffnung, daß sie seit seiner Heldenlaufbahn ihm noch ganz vereinigt werden könne, hatten alle ihre Reize sich reicher und voller entfaltet, und die Siegesgewißheit der Liebe hatte ihrem Antlitz den Stempel der vollendet weiblichen Schönheit aufgedrückt. Bertram's sinnliche Natur regte sich mehr und mehr - er hob Katharinen auf und sagte: "Ich will sehen, ob es möglich ist, daß ich Euch morgen zu Eurem Vater führen kann - allein dürft Ihr ihn nicht sprechen und es wird schwer halten, daß Ihr von den andern Richtern und Magistratspersonen durch meine Verwendung diese Erlaubniß erhaltet - aber ich bringe damit Euch in meiner Stellung ein großes Opfer - welchen Dank habt Ihr dafür?" - "Den innigsten Dank eines gerühr=

[ => Original lesen: 1856 Nr. 23 Seite 6]

ten Tochterherzens!" sagte sie, vor seinen Blicken zitternd. Er lächelte faunisch, legte seine Hand auf ihre Schulter und sagte: "Nun, Ihr werdet doch endlich dafür mir einen Kuß gönnen?" - Sie trat schaudernd zurück und sagte tonlos: "Führt mich zu meinem Vater - Ihr verspracht's - kein Dienst findet seinen Lohn, bevor er nicht ausgeführt ist." - Er biß sich in die Lippen und entließ sie ohne weitere Entgegnung.
Als sie fort war, ging er aufgeregt in seinem Zimmer auf und nieder. "Jetzt läuft sie mir selbst in's Garn!" rief er, "wie schön sie ist! - Was soll ich thun? Versuche ich's, Wittenborg zu retten, erwerbe ich mir seine Freundschaft, den Dank der Tochter - dann darf sie sich nicht mehr weigern, mein Weib zu werden! Aber die Tochter eines abgesetzten Bürgermeisters? - Nein, nimmermehr! Und käme es nicht zur Absetzung - so entginge mir sein Amt. Das geht auch nicht. Wittenborg muß schuldig sein - ich werde meine Maßregeln darnach ergreifen."

-----------

Katharina durfte ihren Vater wiedersehen. Wie ward ihr, da sie seinen Kerker betrat! Eine elende Zelle war's, in der jedes Geräth mangelte, einen Strohsack und eine hölzerne Bank abgerechnet, auf welcher der Gefangene saß. Wie war er verändert! Die stolze Gestalt mit der majestätischen Haltung war gebeugt und zusammengesunken, das sonst so frische Antlitz war bleich und runzelig, der Glanz seiner Augen halb erloschen. An äußeres Wohlleben gewöhnt, hatte die Entbehrung desselben ihn schnell gealtert - noch mehr dieser Sturz von seiner Höhe, diese Beraubung seiner Würde, dies Bewußtsein, sein Unglück, wenn nicht verdient, so doch verschuldet zu haben. An Bertram's Seite trat die Tochter bei ihm ein und umarmte ihn unter Thränen. Auch der Gefangene konnte zum erstenmale weinen, da er sein Kind wieder sah. Gerührt streckte er Bertram die Hand entgegen und rief: "Daran erkenn' ich Eure Treue! Ihr haltet in dieser Prüfung bei uns aus - wenn sie überstanden, wird Euch Katharina dafür belohnen - wir feiern dann vereint das Fest Eures Glückes und meiner Wiedereinsetzung!" - Bertram lächelte - und indem er Katharina den Kuß raubte, den er sich gestern ausbedungen, sagte er: "Und sagt jetzt Katharina immer noch nein?" - Der Vater sah sie flehend an und flüsterte: "Auf seine Stimme wird das Meiste ankommen - wenn Du ihn verschmähst, so -" - Katharina ließ ihn nicht vollenden, sondern sagte, schnell ihr Haupt demüthig zur Erde neigend: "Für meines Vaters Leben und Freiheit giebt es kein Opfer, das ich nicht mit Freuden zu bringen bereit wäre!" - Bertram lächelte arglistig. Dann versprach er hoch und theuer, daß er Alles aufbieten werde, Wittenborg zu retten, daß aber seine Sache sehr schlimm stünde, da alle Heimkehrenden wider ihn zeugten, und die Hansa es nicht ungestraft hingehen lassen könne, wenn ihre Feldherren durch Pflichtvergessenheit eine ganze Flotte opferten - wem viel gegeben, von dem werde viel gefordert.
Kaum eine Stunde ließ er ihr Zeit, bei ihrem Vater zuzubringen, dann aber trieb er sie fort. Auf ihre Frage, wenn sie hoffen dürfte, den Gefangenen wiederzusehen, zuckte Bertram die Achseln und sagte, er habe nicht darüber zu bestimmen, doch wolle er auch hierbei sehen, was sein Einfluß bei der obersten Gerichtsbehörde und dem Hüter des Gefängnisses vermöge. In den nächsten Tagen werde es nicht möglich sein. Nur die Erlaubniß, ihm frische Wäsche und etwas Wein zu schicken, erhielt sie. Im Innern des Rathhauses trennte er sich von ihr. Sonst wäre es sein Stolz gewesen, mit ihr durch die Straßen Lübecks zu schreiten und er kochte oft vor Zorn, weil sie dies ehemals nie duldete, so oft er auch eine Gelegenheit dazu suchte - damals erschien es ihm als Ehre, die Tochter des Bürgermeisters zu geleiten - aber die Schmach, neben der Tochter des Gefangenen gesehen zu werden, vermied er sorgfältig, noch mehr den Verdacht, den man bei dieser Gelegenheit auf ihn werfen könnte. Er übergab sie einem Gerichtsdiener, um sie nach Hause zu geleiten und, wie er lächelnd sagte, vor den Insulten des Pöbels zu schützen.
Als Katharina wieder ihre Wohnung betrat und ihrer Haushälterin, der alten Elsa, Bericht erstattet hatte von Allem, was ihren Vater betraf, was sie jetzt erfahren und erlebt - daß sie Bertram schon zu Dank verpflichtet sei und daß er versprochen, die Rettung ihres Vaters aus so schwerer Gefahr und von so schwarzer Anklage zu versuchen - und daß, wenn dies ihm gelungen - Katharina vermochte nicht weiter zu sprechen, und Elsa kam selbst der Bebenden zu Hülfe mit Ermahnung und Zuspruch: "Nein, liebes Kind", sagte sie, "wenn das Leben Eures Vaters davon abhängt, da dürft Ihr Euch nicht länger zieren und sträuben - und wenn's Euch auch ein Opfer ist, Herrn Bertram's Hand anzunehmen, so müßt Ihr es bringen. Es ist ja auch ein gar stattlicher und feiner Herr, der Euch anbetet und Ihr könnt gewiß recht glücklich mit ihm werden. Ihr habt Euch nun einmal überschwengliche Dinge in den Kopf gesetzt! Solche Minne wovon die Meistersänger singen und Ihr aus ihren Versen und Sprüchen gehört, die giebt es nun einmal nicht in der wirklichen Welt - und auf was wollt Ihr denn warten?" - "Sprich nicht so weiter!" bat Katharina, "ich weiß, daß Du nicht an wahre Minne glaubst und die Sänger schmähst - ich aber glaube an jene und weiß, daß diese Wahrheit singen - um kein Gut der Welt möcht' ich ein Verbrechen begehen, wie das ist, einen Mann zu ehelichen, dem meine Minne nicht gehört - aber es braucht keine Ueberredung von Dir, wenn Gott dies Opfer von mir fordert, so kann ich für die Rettung meines Vaters Leib und Seele zum Opfer bringen, und Bertram's Gemahlin werden - bete mit mir zu allen Heiligen, daß sie mir Kraft zu dem Opfer geben, wenn sie es mir nicht ersparen können - aber sprich mir jetzt nicht mehr von Bertram!" - Elsa schüttelte den Kopf, und um die liebe trostlose Herrin zu zerstreuen, sagte sie: "Es ist auch indeß ein Brieflein an Euch angekommen, mit gar schönen Schnörkeln um Euren Namen - der Ueberbringer that sehr geheimnißvoll damit, und da hab' ich's hinein auf Euren Nachttisch gelegt. Dem Boten war es gar nicht recht, daß Ihr nicht selbst da waret, er hat auch gewartet, aber länger konnte er sich nicht aufhalten, da er sagte, er müsse heute noch weiter reiten."
Ahnungsvoll eilte Katharina in ihr Closet, da lag der Brief - sie riß das Siegel auf, er war von Erich. Er schrieb:

      "Meine süße Herrin! Nur zwei Zeilen laß mich Dir als Liebesbotschaft senden. Vielleicht hast Du es schon gehört, daß es in unserm siegreichen Seegefecht mir gelang, mich auszuzeichnen, und daß ich nun zum Lohn dafür der Führer eines großen Corps geworden bin. Wir sind in Dänemark gelandet, und ich stehe mit meinen Mannen unter dem edlen Grafen Heinrich von Holstein, der mich wie einen Freund behandelt. Er wird mein Brautwerber bei Deinem Vater sein! Denke an mich im frohen Hoffen und Gottvertrauen. Ich hoffe noch mehr Thaten für das Vaterland zu thun und noch mehr Ehren zu erringen - für Dich, mein Lieb. Deine Schärpe ist mein Talisman, mein Schutz in jeder Gefahr! Ich küsse jeden Tag die sinnigen Blumen, die Deine zarten Hände da hineingestickt haben. Denke, wie wahr unser Lieblingssänger Walther von der Vogelweide sagt:
      Niedere Minne läßt den Mann erschlaffen
      Und den Leib nach schlechten Freuden ringen,
    Die Lieb ist nicht preiswürdig und thut weh.
      Hohe Minne weiß den Reiz zu schaffen,
      Läßt den Geist nach würd'ger That sich schwingen.
    Die winket jetzt mir, daß ich mit ihr geh!
      "Alles danke ich Dir und unserer Minne und bin nun der frohen Zuversicht, daß Du doch mein wirst, daß ich Dich mir erkämpft, wenn Du mir treu geblieben! Und Du bleibst mir treu, ich weiß es. Ein Verbrechen wäre es, daran zu zweifeln! - Dein Vater ist wohlauf und glücklich über den Sieg. Seit wir aber gelandet, bin ich mit der Heeresabtheilung, der ich angehöre, schon um eine Tagesreise vorangerückt und von ihm getrennt. - Ade! Sei fröhlich in Hoffnung! Mit tausend Küssen grüßt Dich, meine Heißgeliebte,

Dein treuer Erich."        

(Beschluß folgt.)


<< Ausgabe vorher>> Ausgabe danach
ZVDD